Lidia Maksymowicz: Der größte Friedhof der Welt

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Foto Andrzej Banaś

Deshalb halte ich die Formulierung „polnische Lager” für eine Schande. Sie kränkt und verletzt alle Polen

Bis heute sieht man an ihrem Körper Spuren von Impfungen und Injektionen, die die Experimente von dem Lagerarzt Josef Mengele hinterlassen haben. Trotzdem hat Lidia Maksymowicz als kleines Kind das KZ Auschwitz überlebt. – Ich kam als eine der wenigen mit dem Leben davon. Offenbar hat Gott es so gewollt, damit ich jetzt über den Ort erzählen kann, an dem die Deutschen den größten Friedhof der Welt geschaffen haben – sagt sie.

Minsk, eine kalte Novembernacht des Jahres 1943. Deutsche Soldaten führen hunderte von Menschen zu Güterwaggons, die sich bald in Richtung des von den Deutschen besetzten Polen in Bewegung setzen werden. Der Zugtransport fährt direkt ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Unter den im Lager Angekommenen befindet sich ein dreijähriges Mädchen namens Ludmiła Boczarowa, wie damals unsere Zeitzeugin hieß. – Ich kam ins Lager, weil Doktor Mengele mich als Versuchskaninchen für seine pseudomedizinischen Versuche brauchte – erklärt Lidia Maksymowicz.

Obwohl sie ein Kleinkind war, erinnert sich Frau Maksymowicz sehr gut daran, was im Lager geschah: – Die Deutschen haben die Häftlinge bis aufs Letzte ausgebeutet. Uns Kindern wurde Blut für ihre an der Front kämpfenden Soldaten abgenommen. Das war schrecklich! Sie selbst überlebte nur, weil sie nach Auschwitz als gesundes und kräftiges Kind kam. – Aber unterernährte und ausgemergelte Kinder aus den Ghettos hatten dieses Glück nicht. Sie starben massenhaft, von deutschen Peinigern zu Tode gequält – erzählt Frau Maksymowicz.

Im Januar 1945 wurde die kleine Lidia (damals Ludmiła) von ihrer Mutter getrennt, die im sog. Todesmarsch gen Westen evakuiert wurde. Das Mädchen blieb in Auschwitz bis zum 27. Januar, als die Rote Armee das Lager befreite. Danach nahm sich das in Oświęcim (Auschwitz) wohnhafte Ehepaar Rydzikowski des sich seinem Schicksal überlassenen Kindes an. Nach einigen Monaten der Hölle von Auschwitz fand Lidia nun ein richtiges Zuhause.

Ihre leibliche Mutter hat Frau Maksymowicz nach 17 Jahren ausfindig gemacht. Trotzdem entschied sie sich, nicht nach Weißrussland zurückzukehren. Wie sie erklärt, habe sie zu viel der polnischen Familie zu verdanken, die sie aufgenommen und erzogen hatte.

Als Auschwitz-Überlebende fühlt sich Lidia Maksymowicz verpflichtet, über all die Gräueltaten, die dort passiert sind, zu berichten. – Es waren doch die Deutschen, die am 1. September 1939 Polen überfielen, hier ihre Konzentrations- und Vernichtungslager errichteten, die zum Hinrichtungsort für viele Völker wurden. Deshalb halte ich die Formulierung „polnische Lager” für eine Schande. Sie kränkt und verletzt alle Polen – empört sich Frau Maksymowicz.

Aus diesem Grund trifft sie sich oft mit der heutigen Jugend, um sie über die damaligen Zeiten aufzuklären. Manchmal sind unter ihren Zuhörern junge Deutsche. – Sie sind schockiert und können es oft nicht glauben, dass ihre Großväter zu solchen Grausamkeiten fähig waren. Ich selbst frage mich oft, wie dies möglich war. Warum fanden sich in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, das so viele berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht hatte, auch Leute, die sich anderen gegenüber als Bestien in Menschengestalt erwiesen? – Die Antwort auf diese Frage weiß Lidia Maksymowicz nicht.

 

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