– Auf unsere Köpfe schlugen nicht nur die Gewehrkolben der SS-Männer – es traf uns noch viel mehr. Unser gewohntes Weltbild samt den von uns geglaubten Werten wurden brutal mit den Füßen zertrampelt – so beschrieb Witold Pilecki, einer der größten Helden in der polnischen Geschichte, seine Ankunft im KZ Auschwitz. Er ging dorthin freiwillig, um unter Gefangenen den Widerstand zu organisieren sowie – als Augenzeuge – die Außenwelt zu informieren.
1940 wusste der Polnische Untergrundstaat wenig über die deutschen Aktivitäten in Auschwitz. Man hielt es für ein Internierungslager oder ein großes Gefängnis. Um Informationen über das Lager aus dem Inneren zu sammeln und dramatische Meldungen von Einzelpersonen über die dort stattfindenden Grausamkeiten glaubwürdig zu machen, wurde ein kühner Plan gefasst. Ein Untergrundsoldat soll sich nach Auschwitz einschleusen lassen. Der Kavallerie-Offizier Witold Pilecki, Teilnehmer des Polnisch-Sowjetischen Krieges (1919-21) und des Septemberfeldzuges (1939) meldete sich zur Ausführung dieser lebensgefährlichen Mission freiwillig.
Am 19. September 1940 ging er bei einer Razzia in Warschau auf die Straße und wurde zusammen mit anderen unschuldigen Zivilisten von den Deutschen gefangengenommen. Nach zwei Tagen, in der Nacht auf den 22. September, durchschritt Pilecki das Auschwitzer Lagertor mit der berüchtigten Aufschrift „Arbeit macht frei”. Auf seinem Unterarm wurde die ihm zugewiesene Häftlingsnummer 4859 tätowiert. – Die ersten Tage fühlte ich mich völlig benommen. Es war so, als wäre ich von der Erde auf einen anderen Planeten katapultiert worden – konstatierte Pilecki, unmittelbar konfrontiert mit der unvorstellbaren Brutalität der deutschen Lagerfunktionäre.
Ungeachtet dessen nahm er im KZ sofort eine konspirative Tätigkeigt auf. Pilecki hatte die Geheime militärische Organisation (polnisch Tajna Organizacja Wojskowa, kurz TOW) gegründet und geleitet. Organisierte Selbsthilfe unter Insassen, Verbesserung ihrer Moral und Kommunikation mit der Außenwelt waren ihre Hauptaufgaben. Die TOW arbeitete auch an der Vorbereitung ihrer Truppen auf einen Aufstand, der zum Ziel hatte, die Kontrolle über das Lager zu übernehmen. Pilecki und seine Leute lieferten der polnischen Heimatarmee regelmäßig Berichte über den Lageralltag. Dies geschah über Hältlinge, denen die TOW bei Fluchtversuchen half. Nach über zwei Jahren in der Hölle von Auschwitz entschloss Pilecki sich, selber die Flucht zu ergreifen, was ihm in der Nacht vom 26. zum 27. April 1943 in einer waghalsigen, minutös geplanten Aktion gelang.
Nach der Flucht verfasste Witold Pilecki einen detaillierten Bericht über die Zustände in Auschwitz und über die Aktivitäten der TOW. Zum Rittmeister (polnisch rotmistrz) befördert, setzte er in der Heimatarmee den Kampf gegen die deutschen Aggressoren fort, u.a. beim Warschauer Aufstand. Danach durchlitt er mit anderen Aufständischen das Stammlager (Stalag) Lamsdorf und das Offizierslager (Oflag) Murnau.
Nach Kriegsende kehrte Pilecki in das von der Roten Armee befreite Polen zurück. Zwar waren die Deutschen weg, aber für das Land bedeutete das keinen Sieg. Wie die meisten patriotisch gesinnten Untergrundsoldaten wollte Witold Pilecki kein sowjetisch dominiertes Vaterland. Daher setzte er seinen Kampf fort – diesmal gegen die kommunistischen Besatzer. Von den neuen Machthabern am 8. Mai 1947 festgenommen, während des Verhörs bestialisch gefoltert, wurde ihm anschließend ein Schauprozess gemacht. Abgestempelt als „Faschist“ und „Agent des Imperialismus“ und wegen angeblicher Spionage verurteilte das kommunistische Gericht den polnischen Helden zum Tode. Am 25. Mai 1948 wurde das Todesurteil durch Genickschuss vollstreckt.
Pileckis Auschwitz-Berichte waren die ersten glaubwürdigen Zeugnisse über das tragische Schicksal der KZ-Insassen sowie die dortigen deutschen Verbrechen, die offiziell in die Hände der Alliierten geraten sind. Doch diese blieben passiv, weil man seine Berichte für übertrieben hielt.
