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Die Welt vergaß die polnischen Kriegsopfer

In vielen Personenkreisen wird das Erinnern an die Leiden der Polen für Taktlosigkeit, unzureichende Kenntnis bzw. Unterordnung unter die polnische Propaganda gehalten.

Interview mit Prof. Wanda Jarząbek vom Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Forschungsschwerpunkt u.a. Deutsch-polnische Beziehungen im 20. Jahrhundert.

Polen ist der Staat, der während des Zweiten Weltkriegs den höchsten Preis bezahlte. Warum geriet dies so bald in Vergessenheit?

Gleich nach dem Krieg, aber noch in den 1960er Jahren, erinnerte man sich sehr gut an die polnischen Kriegsopfer und Polen wurde als ein Land angesehen, das durch den Krieg sehr schwer getroffen worden war. Seit dem Ende der 1960er Jahre begann sich dies jedoch zu ändern, dauerte in den 1970er an und nahm in den 1980er Jahren zu. Inzwischen hatte sich weitgehend die Geschichtspolitik Israels, das die Holocaustopfer nicht mehr als diejenigen betrachtete, die über ihren Tod freiwillig entschieden, ohne den Mut gegen diesen anzukämpfen, sondern begann darüber zu sprechen, wie sehr diese Opfer leiden mussten. Man begann auch die Helden zu schätzen, die Aufstände organisierten, z.B. den Aufstand im Warschauer Ghetto. Zu diesem Thema entstanden  zahlreiche Filme, sowohl Dokumentar- als auch Spielfilme. Die Frage nach dem Holocaust hielt Einzug in alle Geschichtslehrbücher. Ebenfalls in Deutschland fand damals eine deutliche Veränderung in der Wahrnehmung der Vergangenheit statt. In die Politik, Medien, Schulen und an die Unis kam auch die dritte Generation, die bereits nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde und sprach immer öfter darüber, dass auch die Deutschen gelitten hatten. Man sprach sehr viel von den deutschen Opfern des nationalsozialistischen Regimes sowie von den Deutschen, die Opfer der Politik der Alliierten wurden. Von den 1950er Jahren an wurden in der BRD Erinnerungen von Personen gesammelt, die die ehemaligen deutschen Gebiete im Osten verlassen mussten, infolge von Evakuierung, Flucht vor der Roten Armee, wilden Vertreibungen bzw. Überführungen aufgrund der Beschlüsse seitens der Siegerstaaten. Es ist inzwischen das Wort „Vertreibung” üblich geworden, das sehr emotional belastet ist. Es wurde normalerweise nicht daran erinnert, dass die „Überführung“  durch die Großen Vier , im Potsdamer Abkommen entschieden  worden war, von dem drei Staaten nach dem Krieg zu Verbündeten der BRD wurden. Schließlich wurde immer mehr von Zivilisten und zufälligen Opfern der Bombardierungen und Flächenbombardements gesprochen.

In Polen indessen, wo die kommunistischen Behörden regierten, wurde vom Krieg am häufigsten sehr ideologisch gesprochen. Wegen des sog. Kalten Kriegs und der Zugehörigkeit der Volksrepublik Polen (PRL) zum Ostblock erfuhren die in Polen durchgeführten Geschichtsforschungen nie eine größere wissenschaftliche Verbreitung. Polnische Filmproduktionen und Literatur waren nur in geringem Maße in der Welt bekannt. In den 1990er Jahren konzentrierte sich die Geschichtsforschungen auf Themen, die früher verboten waren, d.h. auf das Schicksal der Polen im Osten  (unter Sowjetischer Besatzung) . Es wurde jedoch übersehen, dass die Polen nicht als Opfer des Dritten Reiches, sondern allmählich als Zuschauer oder sogar Mittäter angesehen wurden sowie als Personen, die aus dem Schaden der Mitmenschen materiellen Vorteil hatten, d.h. von Holocaustopfern und aus Vertreibungen. Während wir also stumm blieben, erhielten die Leute im Westen in Schulen, aus Filmen und Massenmedien ein ganz anderes Bild der Vergangenheit.

Wie wird heute die Rolle Polens während des Zweiten Weltkriegs weltweit gesehen?

Im Westen besteht oft das Missverständnis, dass Polen sich gern in der Opferrolle sehen, sie waren mittlerweile, nach allgemeiner Ansicht, vor allem Mittäter. In vielen Personenkreisen wird das Erinnern an die Leiden der Polen für Taktlosigkeit, unzureichende Kenntnis bzw. Unterordnung unter die polnische Propaganda gehalten. Polen sei daher für viele Personen keineswegs das erste Kriegsopfer, sondern ein Staat, der sich irgendwie an der verbrecherischen Politik der Deutschen beteiligte. Wir wurden als ein Volk angesehen, das sich eigentlich gegen die Deutschen kaum gewehrt hatte und mit den ideologischen Überzeugungen des Dritten Reiches, wie Antisemitismus, bzw. Ablehnung der parlamentarischen Demokratie übereinstimmte. In vielen Geschichtsbüchern wird Józef Piłsudski in dieselbe Reihe mit autoritären Herrschern oder Diktatoren (wie z. B. Hitler, Mussolini) gestellt. Es ist die Rede vom polnischen Faschismus, wozu ebenfalls die Kommunisten beitrugen, die alle politischen Gegner so nannten. Im Westen ist die Rede von Polen, die mit Deutschen zusammenarbeiteten, die echten Kollaborateure Deutschlands, wie z. B. Letten und Ukrainer, die in separaten nationalen Militäreinheiten organisiert waren, werden jedoch oft vergessen.

Warum verfehlt dieses Bild so klar die Tatsachen?

In den westlichen Ländern wird bei der Schulbildung Polen fast komplett übersprungen und die Vorstellungen vom Krieg basieren oft nicht auf zuverlässiger Kenntnis, sondern auf Informationen aus der Massenkultur. In Letzterer tauchen viele Mythen über unser Land auf. Auch in Dokumentarfilmen, wie z. B. dem berühmten „Shoah“, wo die Polen als Menschen gezeigt werden, die von der Vernichtung der Juden profitierten, da sie z.B. deren Häuser bewohnten.

Darüber hinaus wurde das sog. Rivalisieren ums Leiden auf eine ganz andere Ebene gehoben. Es wird oft nicht von den harten Fakten, sondern von unterschiedlichen Narrationen gesprochen, die auf Erinnerungen der Zivilisten basieren. Die Erzählungen der Kriegsopfer werden eigentlich gleichbehandelt, denn Leiden wird von den Menschen ähnlich wahrgenommen – unabhängig davon, ob sie das Volk betreffen, das die Kriegsverbrecher gebar, oder das Volk, das zum Opfer ihres Angriffs wurde.

Deswegen wird es immer schwerer für uns, sich mit unserer Erzählung über den Zweiten Weltkrieg durchzusetzen.

Die Veränderung dieses verzerrten, meistens negativen Bildes von Polen ist selbstverständlich möglich, erfordert jedoch harte und beharrliche Arbeit. Inzwischen müssen wir sagen, dass immer noch nicht viel getan wird. Es bleiben sogar in den Hochschulkreisen viele nicht korrigierte, falsche Darstellungen bestehen. Im Westen erscheinen immer noch Bücher und andere Veröffentlichungen über Polen, die auf vereinfachte Art und Weise die Einstellungen der Polen während des Krieges darstellen. Ich vermisse dagegen Rezensionen von polnischen Autoren, die Stellung zu diesen Veröffentlichungen nehmen. Überdies kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Geschichtsunterricht in polnischen Schulen sich hinsichtlich des Unterrichtsprogramms an die Prioritäten der im Westen herausgegebenen Geschichtsbücher orientiert.

Lassen wir die Opfer zu Wort kommen

Unser Hauptprojekt sind „Die Aufzeichnungen des Terrors” (polnisch „Zapisy terroru”). Mit diesem Projekt bezwecken wir, die europaweit größte Datenbank mit Berichten und Zeugnissen von Zeitzeugen zu schaffen. Wir möchten die Opfer und ihre Nächsten und Nachkommen zu Wort kommen lassen

Ein Gespräch mit Anna Gutkowska, der geschäftsführenden Direktorin des Witold-Pilecki-Zentrums für Forschungen  über Totalitarismen

 Zu welchem Zweck wurde das Zentrum ins Leben gerufen?

Das  Zentrum soll zum Nachdenken über polnische Erfahrungen mit der Konfrontation mit zwei totalitären Systemen anregen.  Es wurde gegründet, um das Wissen über das tragische Schicksal Polens im 20. Jahrhundert bekannt zu machen sowie es erfolgreich in die Weltgeschichte mit einzubeziehen. Wir arbeiten interdisziplinär, d.h. wir möchten eine Brücke zwischen Wissenschaft und Kultur schlagen. Unser Ziel ist es, kulturgeschichtliche Projekte, die sich auf  Ereignisse des vorangegangenen Jahrhunderts beziehen, aus der Taufe zu heben und zu unterstützen. Unsere Tätigkeit konzentriert sich vor allem darauf, die totalitären Verbrechen zu dokumentieren, die dokumentierten Materialien  ins Englische, die heutige „lingua franca”, zu übersetzen sowie die Quellentexte dem breiten Publikum zugänglich zu machen. Mit dem breiten Publikum meine ich u.a. Meinungsführer im In- und Ausland.

Welche Projekte werden zurzeit vom Zentrum durchgeführt?

Unser Hauptprojekt sind „Die Aufzeichnungen des Terrors” (polnisch „Zapisy terroru”). Mit diesem Projekt bezwecken wir, die europaweit größte Datenbank mit Berichten und Zeugnissen von Zeitzeugen zu schaffen. Wir möchten die Opfer und ihre Nächsten und Nachkommen zu Wort kommen lassen. Ohne Zweifel steht uns ein schwieriges Unterfangen bevor, denn wir verfolgen das Ziel, mit der gesammelten Dokumentation die wichtigsten polnischen akademischen Zentren, Bibliotheken und Medien zu erreichen. Das ist eine enorm wichtige Aufgabe – wir beabsichtigen, dass die gegründete Datenbank als  Forschungsquelle  weltweit benutzt wird. Eine Forschungsquelle, an der kein Wissenschaftler bei seinen Recherchen und Publikationen – sowohl aus moralischen als auch aus methodologischen Gründen –  gleichgültig vorbeigehen könnte. Auf der Website zapisyterroru.pl  sind schon über 800 Dokumente zugänglich. Die Hälfte davon wurde bereits ins Englische übersetzt. Und ab 2017 wird für die Interessierten eine funktionsreiche Web-Schnittstelle auf Englisch zur Verfügung stehen.

Des Weiteren organisieren wir Konferenzen, darunter auch solche, die einen internationalen Charakter haben, wie das im November dieses Jahres der Fall war. Die damals stattgefundene Konferenz, deren Teilnehmer renommierte  Juristen waren, haben wir der Problematik der Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewidmet, die im deutsch besetzten Polen verübt worden sind. Wir beleuchteten sie näher am Beispiel des Massakers vom Warschauer Bezirk Wola von 1944, das zu einem der grausamsten Massaker an der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg zählt. Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ist die schon vorher erwähnte edukative Tätigkeit. Mit dem Film „Wolhynien” (polnisch „Wołyń”) in der Regie von Wojciech Smarzowski begannen wir neulich das Projekt „Bilder der Geschichte” (polnisch „Obrazy historii”). In seinem Rahmen werden Streifen gezeigt, die die wichtigsten Ereignisse unserer Geschichte thematisieren, sowie Diskussionen geführt, an denen sich Autoren, Historiker und das Publikum beteiligen. Die Resonanz auf „Wolhynien” war riesengroß. Der Kinosaal platzte aus allen Nähten, es kamen ca. 500 Personen und – was mich sehr gefreut hat –  unter den Zuschauern waren viele junge Leute.

Wie sehen Sie die Rolle des Zentrums bei der Frage, deutscher Kriegsverbrechen in Polen zu gedenken? Können auch ehemalige deutsche Lager, die zu verschiedenen Gedenkstätten wurden, diese  Aufgabe erfüllen?

Die Gebiete der ehemaligen Lager haben einen durchaus symbolischen Charakter. In den meisten Fällen sind sie Grabstellen von Abertausenden von Opfern des Dritten Reiches, eine Art schockierender Denkmäler der Bestialität. Sie stellen aber auch materielle Spuren und Beweise des Völkermordes, der Verbrecher gegen die Menschlichkeit und der Negation der humanistischen Errungenschaften sowie der abendländischen Kultur dar. Sie bezeugen darüber hinaus den moralischen Verfall der Täter. Diese Orte sind eine Warnung – ein Warnsignal für die nächsten Generationen.

Unser Zentrum beschäftigt sich mit dem Festhalten und Bekanntmachen der komplizierten und tragischen Schicksale unserer Bürger und ihrer Nachkommen. Wir hoffen, dass die Weltöffentlichkeit dank der englischen Translation diese Erfahrungen endlich teilen wird. Es ist kein falsches Pathos, wenn ich sage, es ist höchste Zeit dafür. Deshalb arbeiten wir an der Webseite chronicleofterror.pl.

Von wem kam die Initiative, das Zentrum zu gründen?

Die Gründung unseres Zentrums war die Krönung der Bemühungen seiner Initiatorin, Frau Professor Magdalena Gawin, der Untersekretärin im Ministerium für Kultur und Nationalerbe. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Auftakt des Projekts „Die Aufzeichnungen des Terrors” war u.a. die Familie Pilecki, des Patrons unseres Zentrums, zugegen – seine Tochter Zofia Pilecka-Opułtowicz und sein Sohn Andrzej Pilecki.  Anwesend war auch sein Neffe – Professor Edward Radwański samt Gemahlin. Witold Pilecki bleibt bis heute der größte Held des polnischen Untergrunds, ein Mensch von außergewöhnlichen Eigenschaften und beispielloser Tapferkeit. Er ist ein Symbol der Solidarität mit Opfern und des tragischen Kampfes gegen zwei totalitäre Systeme, das nationalsozialistische und das kommunistische. In diesem Sinne ist seine Person die ideale Figur für unsere Einrichtung. Unsere Mission besteht darin, harte Tatsachen über das 20. Jahrhundert, das nicht ohne Grund das Jahrhundert der Totalitarismen genannt wird, weltweit bekannt zu machen. Wir bemühen uns, den Stempel, den es Polen und seinen Bürgern aufgedrückt hat, zu zeigen. Insbesondere geht es uns dabei um zivile Opfer des deutschen und sowjetischen Regimes. Es ist die Zeit dafür gekommen, dass man uns  hört.

Wie war es wirklich? Deutsche Lager, polnische Helden. Konferenz im Sejm der Republik Polen

Wie sollte man der medialen Vervielfältigung der Lüge über »polnische Konzentrationslager« wirksam entgegenwirken? Wie ist gegen Geschichtsverfälschungen vorzugehen? Was muss Polen tun, um sein internationales Image zu schützen? Antworten u.a. auf diese Fragen suchten Teilnehmer der Konferenz, die im polnischen Sejm vom Łukasiewicz-Institut organisiert wurde. Gäste der Konferenz waren u.a. Ryszard Czarnecki (Vizepräsident des Europaparlaments), Jan Dziedziczak (stellvertretender Außenminister der Republik Polen) sowie Szymon Szynkowski vel Sęk (Parlamentsabgeordneter und Chef der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe). Die Debatte war ein Teil des Projekts „Wie war es wirklich? Deutsche Lager, polnische Helden”, das das Łukasiewicz-Institut konzipiert hat und zurzeit durchführt. Eines der Ziele dieser Initiative ist es, unter ausländischen Journalisten das Wissen über die heldenhafte Haltung der Polen im Zweiten Weltkrieg bekannter zu machen.

Die Organisatoren die Stiftung des Łukasiewicz-Instituts mögen für das Aufgreifen dieses so wichtigen und aktuellen Themas meine Anerkennungsworte annehmen ‒ schrieb der Parlamentspräsident Marek Kuchciński in einem Brief an die Teilnehmer  der Konferenz. Der Parlamentspräsident betonte „die Notwendigkeit eines entschiedenen Widerspruchs gegen die lügenhaften und sogar verletzenden Formulierugen, die gegen Polen gerichtet werden”.

– Es ist für mich eine große Ehre, an der Konferenz teilnehmen zu dürfen, die eine der wichtigsten Herausforderungen für den polnischen Staat betrifft – sagte Ryszard Czarnecki, der Vizepräsident des Europaparlaments. – Ich freue mich, dass sich im polnischen Sejm ein Kreis von so bedeutenden Personen trifft, die vorhaben, sich für den guten Ruf Polens und der Polen einzusetzen sowie gegen klischeehafte Lügen anzukämpfen. Die Lügen wurzeln in der Ignoranz, werden aber auch oft bewusst eingesetzt – erklärte er.

Laut Czarnecki gäbe es eine allgemeine Tendenz, die Schuld gegen die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen den „Nazis” zuzuschreiben. Eine solche Denkweise sollte vermieden werden, denn es habe kein „Volk der Nazis” gegeben. Die Vervielfältigung von solchen Formulierungen sei der nächste Schritt seitens der Deutschen, für ihre Taten die Hände in Unschuld waschen zu wollen ‒ Hände, die wegen ihrer Kriegsverbrechen noch lange schmutzig bleiben würden.

Der Vizepräsident des Europaparlaments erinnerte in seiner Rede an das Jahr 2005, in dem der 60. Jahrestag der Befreiung des KL Auschwitz begangen wurde. Als eine diesbezügliche Resolution in Vorbereitung war, gelang es den polnischen EP-Abgeordneten zu bewirken, das Wort „Nazis” durch „Deutsche” zu ersetzen. „Der Druck des polnischen Staates ist enorm wichtig, genauso wichtig ist jedoch der Konsens aller unserer meinungsbildenden Kreise. Ich bedauere es sehr, dass hierzulande einige von ihnen im Rahmen einer sog. Pädagogik der Beschämung unwillig sind, das Kind beim rechten Namen zu nennen.” – schloss Ryszard Czarnecki.

– Es ist unsere menschliche Pflicht, an deutsche, auf polnischem Boden gebaute Lager ständig zu erinnern und der Polen, die dort umkamen, zu gedenken. Ich sage diese Worte auch aus persönlichen Gründen. Meine Oma, Bronisława Czarnecka, hat mit dem Rat für die Unterstützung der Juden „Żegota” zusammengearbeitet. Sie zeigte im Krieg eine Haltung, auf die ich stolz bin – erklärte der Vizepräsident des EP. ‒ Ich danke Ihnen für die Einladung zur Konferenz.

Seine Anerkennung für die Organisatoren der Konferenz sprach ebenfalls der Vize-Außenminister Jan Dziedziczak aus. – Indem wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, investieren wir in die Zukunft. Es ist besonders wichtig, unseren ausländischen Partnern die Wahrheit über die polnische Geschichte näherzubringen, weil wir heutzutage Zeiten erleben, in denen die öffentliche Diplomatie eine genauso große Rolle spielt wie die traditionelle. Wir sind dabei in einer komfortablen Lage, denn wir brauchen unsere Geschichte nicht schönzureden. Wir müssen nur verlangen, dass sie wahrheitsgetreu dargestellt wird ‒ sagte Jan Dziedziczak.

Der Minister unterstrich die Tatsache, dass die jetzige Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit eine konsequente historische Politik führt und jede Möglichkeit nützt, das positive Bild Polens weltweit zu fördern. – Eine solche Gelegenheit gaben uns in diesem Jahr die Weltjugendtage und der Besuch von Papst Franziskus in Auschwitz. – Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Ankunft von ca. 1 Mio. junger, weltoffener Leute und das mit diesem Event verbundene mediale Interesse an unserem Land eine einmalige Chance für die Präsentation unserer historischen Narration sind. Gemeinsam mit dem Institut für Nationales Gedenken hatten wir daher eine in neun Sprachen verfasste Publikation herausgegeben, die alle Teilnehmer der Weltjugendtage samt akkreditierten Journalisten bekamen. Darin wurden auf eine detaillierte, aber zugleich eingängige Weise die polnische Geschichte sowie die Frage der deutschen Konzentrationslager beschrieben. Wir zeigten, dass Polen als erstes Land dem Dritten Reich entgegentrat und ein weltweit einzigartiges Phänomen im Kampf gegen Deutschland schuf – den polnischen Untergrundstaat – so Jan Dziedziczak.

Nach Meinung des Vize-Außenministers würde der große Vorteil der Publikation des Łukasiewicz-Instituts darin bestehen, dass sie Zeitzeugenberichte, d.h. Geschichten ehemaliger KZ-Insassen, enthält. – Besonders freue ich mich über das Gespräch mit Karol Tendera ‒ fügte Herr Dziedziczak hinzu. ‒ Für den Kampf gegen die Lüge über „polnische Konzentrationslager” sowie für die Verteidigung des guten Rufen Polens wurde der ehemalige Auschwitz-Häftling mit der Bene Merito geehrt, der höchsten Ehrenmedaille, die vom polnischen Außenministerium verliehen wird.

– Es ist wichtig, dass NGOs wie das Łukasiewicz-Institut sich Initiativen anschließen, die sich zum Ziel setzen, die historische Wahrheit wiederherzustellen. Nehmen Sie dafür meinen persönlichen Dank an. Es freut mich sehr, hier bei Ihnen sein zu dürfen – sagte zum Schluss seiner Rede das Regierungsmitglied.

Der Chef der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe, Szymon Szynkowski vel Sęk begann seinen Auftritt mit einer Gratulation an das Łukasiewicz-Institut. ‒ Das Projekt hat einen Wert an sich, aber seine Bedeutung wird durch seinen meritorischen und politischen Hintergrund noch größer. Die Schirmherrschaft des Präsidenten der Republik Polen, die Unterstützung des Außenministers, des Vizechefs des EP, die Zusammenarbeit mit dem Institut für Nationales Gedenken (IPN) und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau macht es zu einem Prestigeprojekt. Aus diesem Grund hatte ich keine Zweifel daran, dass die Polnisch-Deutsche Parlamentariergruppe ebenfalls zu den Projektpartnern gehören musste – hieß es in seiner Rede.

Der Abgeordnete gab auch einen kleinen Einblick in die Arbeit der von ihm geleiteten Gruppe. – Wir führen mit deutschen Parlamentariern ehrliche Gespräche über unsere Erwartungen, u.a. wie über die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg erzählt werden sollte. Wir erklären ihnen, dass auch sie auf den Begriff „polnische Lager” reagieren müssen, um dadurch zusammen mit uns zum Sprachrohr der historischen Wahrheit zu werden – sagte Szymon Szynkowski vel Sęk.

Der Kampf um den guten Ruf unseres Landes ist eines der Grundelemente des Kampfes um die Sicherheit und Unabhängigkeit Polens – so entschieden äußerte sich Maciej Świrski, der Vorsitzende der Organisation „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung”.

Seiner Meinung nach muss die polnische historische Geschichtserzählung professionell vermittelt werden. Es bringt wenig, nur auf unseren verletzten Stolz zu pochen und auf die Lügen hinzuweisen. Die vierjährige Aktivität der Organisation zeigte, dass der beste Weg für die Kommunikation mit der westlichen Öffentlichkeit die Sprache der Political Correctness ist. Die Medien, die den Ausdruck „polnische Konzentrationslager” verwenden, sollte man vor dem Gebrauch von Hassrede (eng. hate speech, discrimination), darunter der Benutzung der „Auschwitz-Lüge” (eng. Holocaust denial) warnen. Ein solches Argument spricht die betroffenen Journalisten an und öffnet ihnen die Augen für das Problem sowie seine Lösung. Für die westlichen Menschen gibt es nämlich nichts Schlimmeres, als Rassisten oder Auschwitz-Lügner abgestempelt zu werden – erklärte Maciej Świrski seinen Standpunkt.

In seiner Rede ging Herr Świrski auch auf ein anderes Problem ein. Alle Mitglieder von „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung” glaubten am Anfang ihrer Tätigkeit, dass ihre Arbeit sich vor allem nach außen hin richten und Lügen in den ausländischen Medien berichtigen würde. Diese Annahme habe sich jedoch als falsch erwiesen, denn etwa die Hälfte der von der Liga unternommenen Schritte müsse sich auf das Inland konzentrieren. – Schuld daran sind Mechanismen, die man als „Industrie der Verachtung” und „Pädagogik der Beschämung” bezeichnen kann. Im Rahmen dieser Mechanismen erscheint die negative Information über Polen zuerst in unseren Medien, dann wird sie in der ausländischen Presse abgedruckt und zum Schluss kommt sie zurück – aber diesmal als „Meinung des Westens über unser Land” – Als Beispiel dafür sind z.B. die antipolnischen Aussagen von Jan Tomasz Gross zu nennen – erklärte der Chef der Liga.

– In der israelischen Zeitung „Haaretz” wurde vor Kurzem Jan Tomasz Gross zitiert. Er behauptete, dass die Polen ca. 100-200 Tsd. Juden getötet haben sollen, was selbstverständlich nicht der Wahrheit entspricht – knüpfte Dr. Mateusz Szpytma an die Worte von Maciej Świrski an. ‒ In solchen Situationen muss man reagieren, deshalb danke ich dem Łukasiewicz-Institut für diese sehr wichtige Initiative – fügte der Vizechef des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) hinzu. Nach seinem Dafürhalten kam es in der westlichen Debatte zur „Entstaatlichung” des Problems. Es funktionieren mythische „Nazis” und damit sind nicht nur Deutsche gemeint, sondern auch Polen und andere Nationen werden als solche eingestuft. Im Westen fehle ebenfalls das Wissen darüber, dass unser Land vom Anfang bis zum Ende des Krieges an der Seite der Alliierten kämpfte – sagte Dr. Szpytma.

– Die „Entlügung” der Geschichte wird ein langwieriger Prozess sein, der so lange dauern wird, wie vorher ihre Verfälschung dauerte – bemerkte Professor Jan Żaryn, Senator der Partei Recht und Gerechtigkeit. Die Verfälschung im Falle der Formulierung „polnische Lager” war das Werk der Eliten verschiedener Nationen, das in den Zeiten zustande kam, als Polen auf der internationalen politischen Szene abwesend war. Wir hatten damals keine staatliche Subjektivität und dadurch keine Mittel, diesem entgegenzuwirken. Laut Professor Żaryn sei im Prozess der „Entlügung” der Geschichte der Austausch polnischer Eliten notwendig, denn heutzutage habe für die meisten von ihnen das Polentum keine große Bedeutung. – Mir ist klar, dass diese Worte unhöflich klingen mögen, aber so ist es. Im Grunde genommen ist das Führen der Auslandspolitik mit der Gründung einer Gruppe von Personen verbunden, die für das Bild Polens verantwortlich wären. Die sich für unsere Gesichte nicht schämen und die durch ihre Haltung ein Vorbild sein könnten. Das zu erreichen, ist eines der Hauptziele der Partei, deren Mitglied ich bin und die zurzeit an der Macht ist – erklärte er. Der Senator machte auch auf die große Rolle Deutschlands auf der internationalen Arena aufmerksam. – Es ist unsere Aufgabe, mit den Deutschen in einen Dialog zu treten. Sie sollten unsere Partner werden und uns helfen, das wahre Bild über Polen und unser Volk während des Krieges zu erzählen.

– Im Museum setzen wir auf die tagtägliche Arbeit mit Journalisten und auf die Berichtigung von Fehlern. Wir führen eine edukative Tätigkeit durch, indem wir u.a. Publikationen vorbereiten. Wir erklären, warum es so wichtig ist, ein richtiges Vokabular zu benutzen, z.B. das Wort „Deutsche” statt „Nazis” oder „Hitler und die Seinen” ‒ so Piotr M.A. Cywiński, der Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau.

– Ich beobachtete fasziniert den langen Prozess, infolge dessen es den Deutschen gelang, sich von den Verbrechen des Dritten Reichs zu distanzieren – gestand Jerzy Haszczyński, der Leiter des Auslandsressorts der Zeitung „Rzeczpospolita”. Er erzählte auch über die seit zehn Jahren währenden Bemühungen der Redaktion, die Bezeichnung „polnische Lager” anzuprangern und zu bekämpfen, und nannte einen Erfolg seines Blattes: Der Pressekodex von vielen Zeitungen sowie die größte amerikanische Nachrichten- und Presseagentur Associated Press haben es untersagt, diese Formulierung zu verwenden.

– Gestern las ich auf der Website des Jüdischen Weltkongresses (WJC) eine Notiz. Sie enthielt die Information, dass über 140 Juden sich „im polnischen Lager Auschwitz” eine Lebensmittelvergiftung zugezogen haben. Bei einem naiven Leser könnte der Eindruck entstehen, dass die polnischen „Neonazis” diese Juden vergiftet haben – machte auf die Aktualität des Problems Krzysztof Wyszkowski, Mitglied des IPN-Kollegiums, aufmerksam.

– Um solchen Formulierungen effektiv entgegenzuwirken, brauchen wir unbedingt die richtige Sprache und wir sollten uns an sie in unseren Debatten konsequent halten – schlug Dr. Maciej Korkuć aus der Krakauer Außenstelle des IPN vor – Zum Beispiel statt „Kampf gegen die Lüge über polnische Todeslager” wäre meiner Meinung nach die Parole „kämpfen wir um die Wahrheit über deutsche Lager” besser. Wir müssen einfach dafür sorgen, dass Gedankenkürzel, die unser Land verunglimpfen, nicht vervielfältigt werden.

Die Diskussionsteilnehmer einigten sich jedoch darauf, dass das eine risikoreiche Idee wäre, da dadurch eine direkte Auseinandersetzung mit dem stigmatisierenden Ausdruck vermieden würde. Das hätte zur Folge, dass er in den ausländischen Medien unkommentiert bleiben würde. Die Redner erinnerten darüber hinaus an einen philologischen Vorschlag, der darauf zielte, die Lüge über „polnische Lager” durch die Bezeichnung „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” zu ersetzen. Ihr Autor war Professor Artur Nowak-Far, Unterstaatssekretär im Außenministerium in der Zeit, als dieses Ressort Radosław Sikorski leitete.

– Im Jahre 2013, als die Bezeichnung auftauchte, schien sie ein Versuch gewesen zu sein, das Thema zu verdunkeln. Leider wird sie immer noch verwendet. Für mich ist der Ausdruck „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” eine Verschleierung der Wirklichkeit. Die lügenhafte Formulierung „polnische Todeslager” sollte man direkt „Auschwitz-Lüge” nennen, da dieser Begriff – vielleicht nicht ideal, aber dafür weltweit bekannt ‒ rechtlich verfolgt werden kann – appellierte Maciej Świrski.

Wir müssen die Wahrheit über deutsche Konzentrationslager fordern

Die Kultivierung des Wissens über polnische Helden ist neben Zeitzeugenberichten eine sehr wirksame Methode, um die historische Wahrheit zu festigen. Wir sollten  so oft wie nur möglich an großartige Gestalten aus unserer Geschichte erinnern.

Ein Gespräch mit Jan Dziedziczak, dem stellvertretenden Außenminister der Republik Polen

Vor einigen Monaten haben Sie Karol Tendera mit der Ehrenmedaille Bene Merito geehrt. Sie wird  an Personen vergeben, die sich in besonderem Maße für das Land Polen im Ausland stark machen. Herr Tendera ist einer der Helden des Projekts „Deutsche Lager, polnische Helden”. Sehr engagiert kämpft er gegen die Lüge über «polnische Konzentrationslager«. Glauben Sie, dass ein Appell der ehemaligen KZ-Insassen gegen die Geschichtsverfälschung die westliche Öffentlichkeit wirksam beeinflussen kann?

Herr Karol Tendera ist einer der wenigen noch lebenden Personen, die die Wahrheit über die deutschen Konzentrationslager bezeugen können. Der Wert des Appells der ehemaligen Häftlinge der KZs lässt sich nicht unterschätzen. Sie als besondere Zeitzeugen vermitteln die Wahrheit über das deutsch besetzte Polen im Zweiten Weltkrieg und haben Einfluss auf das Bild Polens im Ausland. Es ist unsere Pflicht, von ihren einmaligen Erinnerungen Gebrauch zu machen. Die Erinnerungen sind oft sehr emotional, deshalb sprechen sie die Leute stärker als beste wissenschaftliche Abhandlungen an. Wir sind in einer komfortablen Lage, denn wir brauchen unsere Geschichte nicht zu verschönern. Wir müssen nur die Wahrheit fordern. Aus diesem Grund schlägt das polnische Außenministerium vor, in der Presse und im Internet die Formulierung „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” zu verwenden.  Wir verfolgen dadurch das Ziel, den Ausdruck „deutsche Konzentrationslager” in der Öffentlichkeit einzuprägen sowie falsche Bezeichnungen wie «polnische Konzentrationslager« zu eliminieren.

Wie beurteilen Sie die sich wiederholenden Fälle der Benutzung der Formulierung «polnische Konzentrationslager«? Zeugen sie davon, dass die Welt nicht weiß oder vielleicht langsam vergisst, wer die Täter und wer die Opfer der Verbrechen in den Lagern waren?

Ich hoffe, dass die Benutzung dieser Formulierung vor allem aus Ignoranz resultiert. Und dass kein böser Wille dahinter steckt. Das Außenministerium bezweckt in dieser Hinsicht zweierlei zu tun. Erstens – gegen sie konsequent zu reagieren und zweitens – für das Problem zu sensibilisieren. Ich glaube, dass sie dadurch immer seltener gebraucht wird und mit der Zeit – nicht mehr. Die häufigste Entschuldigung für diese Wortfügung ist, «polnisch« beziehe sich auf die geographische Lage der Lager. Für uns ist das ein völlig inakzeptables Argument. Deutsche Konzentrationslager gab es nämlich in vielen europäischen Ländern.  Die Rede von «polnischen Konzentrationslagern« ist also bewusste Verfälschung der Geschichte, die unbedingt vermieden werden soll. Es ist eine große Herausforderung für den polnischen Staat, unsere historischen Einrichtungen sowie unsere Bürger und das Ausland über die gegenwärtige polnische Geschichte effektiv und redlich informieren.

Wie sollte man ausländischen Journalisten erklären, dass die Formulierung «polnische Konzentrationslager« die Geschichte verfälscht? Können dazu, Ihrer Ansicht nach, z.B. informativ-edukative Projekte wie das Projekt des Łukasiewicz-Instituts beitragen? Wir bemühen uns sehr, die historische Wahrheit ans Licht zu bringen.

Zuerst ist es notwendig, in Bezug auf deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager den richtigen Sprachgebrauch einzuprägen. Diese Notwendigkeit betrifft u.a. polnische Journalisten. Das Fehlen unserer gemeinsamen und objektiven Geschichtsbetrachtung bringt nämlich fatale Folgen mit sich. Die Öffentlichkeit, darunter viele ausländische Journalisten, haben entweder Wissensdefizite oder missverstehen viele, für die polnische Geschichte wichtige Fragen. Den Hitler-Stalin-Pakt, den deutschen und sowjetischen Überfall auf Polen im Jahre 1939, die Komplexität der Besatzung der polnischen Gebiete, darunter die polnisch-jüdischen Beziehungen und den Einfluss der Lager nicht nur auf das Leben der Häftlinge, sondern der ganzen Gesellschaft – um nur einige von diesen Fragen zu nennen.

Unsere Rolle besteht darin, mit der historischen Wahrheit ein breites Publikum zu erreichen und sie – vor allem im Ausland – zu verbreiten. Das Außenministerium ist um diesbezügliche edukative Handlungen sehr bemüht. Wir arbeiten in dieser Hinsicht u.a. mit dem Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej IPN) und der Stiftung „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung” (“Reduta Dobrego Imienia – Polska Liga Przeciw Zniesławieniom) zusammen. Ein Beispiel für solche Aktivitäten sind die von uns organisierten Studienbesuche für ausländische Meinungsführer, wie etwa für Historiker – Experten für polnische Geschichte, Geschichte unserer Region oder Spezialisten für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Auch Journalisten aus dem Ausland sind unsere Gäste. Uns obliegt eine große Verantwortung, das Wissen an nächste Generationen weiterzugeben sowie der Tragödie des Zweiten Weltkrieges kontinuierlich zu gedenken.

Glauben Sie, dass es unsere Pflicht ist, über das Heldentum der Polen gerade in diesen Zeiten zu reden? Können die Familie Ulma, der Hl. Maximilian Kolbe oder der Rittmeister Pilecki helfen, die polnische Geschichte erfolgreich ins rechte Licht zu rücken?

Die Kultivierung des Wissens über polnische Helden ist neben Zeitzeugenberichten eine sehr wirksame Methode, um die historische Wahrheit zu festigen. Wir sollten  so oft wie nur möglich an großartige Gestalten aus unserer Geschichte erinnern. Es gab sehr viele davon, darunter auch aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die heldenhafte Haltung von einfachen Leuten beeinflusst das positive Bild aller Polen. Wir sollten darum danach streben, über die von Ihnen erwähnten Helden Polen als das Land zu zeigen, für dessen Volk gewisse Werte und die Ehre am wichtigsten sind. Uns als eine Nation zu präsentieren, die bereit ist, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um sie zu verteidigen sowie auch ihr Leben zu riskieren, um ein anderes zu retten. Wir haben viele hervorragende Figuren, deren Vita  universelle Werte vermittelt. Sie können für die heutige Jugend als Vorbild dienen und eignen sich sehr gut, an ihnen die polnische historische Wahrheit zu rekonstruieren.

Sollten polnische Meinungsführer nicht nur dem Ausland, sondern auch unseren Bürgern die Botschaft  vermitteln, dass der polnische Staat entschieden gegen die Formulierung «polnische Konzentrationslager« reagieren wird? Sehen Sie die Notwendigkeit dazu und mögliche Vorteile dieses Schrittes?

Es ist natürlich dringend nötig, die verbale Vervielfältigung dieser Formulierung und anderer falscher Begriffe versuchen zu stoppen. Es ist schädlich, die „fehlerhaften Codes des Gedächtnisses” im Polnischen zu fixieren, indem man sie mehrfach gerade in den Interviews oder Publikationen verwendet, die bezwecken, ihnen entgegenzuwirken. Den Hauptvorteil sehe ich in der Popularisierung der historischen Wahrheit und in der Glaubwürdigkeit Polens in der Weltöffentlichkeit. Solange wir uns aber selber falscher Ausdrücke bedienen werden, solange wird es schwierig sein, gegen sie in den ausländischen Medien anzukämpfen.

Gibt es nach Ihrem Dafürhalten in der polnischen Öffentlichkeit einen  Konsens über die Notwendigkeit, die Geschichtsverfälschungen zu bekämpfen? Einige Kreise sind der Meinung, dass wir diesbezüglich überreagieren und die Gründe dafür in unseren Minderwertigkeitskomplexen liegen würden.

Das positive Bild Polens sowie der Kampf um die historische Wahrheit sollten unser gemeinsames Ziel sein. Die Reaktionen auf Lügen dürfen nicht als Ausdruck von Minderwertigkeitskomplexen gedeutet werden. Das Streben nach der Wahrheit ist die Pflicht jedes Menschen. Und die Wahrheit ist, dass es im deutsch besetzten Polen deutsche Konzentrationslager gegeben hat. Wir dürfen dabei nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass die Geschichte die gegenwärtige Meinung über Polen beeinflusst. Um so mehr müssen wir uns bemühen, Schritte zu unternehmen, die die aktuelle und künftige Lage unseres Staates stärken werden.

Wie sehen Sie die Rolle der Auslandspolen (der sog. Polonia) bei der Problematik, über die wir uns unterhalten? Können auch sie den Lügen über Polen und das polnische Volk entgegenwirken?

Die Rolle der Polonia ist vielleicht sogar wichtiger als unsere Rolle hierzulande. Es waren doch die Polonia-Verbände, die als erste Organisationen auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Sie machten uns bewusst, dass hinter diesen falschen Bezeichnungen eine ernste Bedrohung steckt. Die kanadische Polonia protestierte bereits in den 1980er Jahren vor dem Sitz der „Toronto-Star” gegen die unkorrekten Begriffe, die diese Zeitung benutzt hatte. Die Auslandspolen haben einen direkten Zugang zu den Medien und der Öffentlichkeit der Länder, in denen sie wohnen. Daher können sie auch auf historische Lügen schnell reagieren und sie den zuständigen polnischen Behörden melden. Es ist klar, dass die Polonia eine große Verantwortung für das Kreieren des Polenbildes trägt. Deshalb ist es enorm wichtig, dass alle ihre Organisationen unisono über die polnischen Helden und die polnisch-jüdischen Beziehungen sprechen sowie sich lautstark für die richtige Wortwahl im Falle der «polnischen«  Konzentrationslager einsetzen.

«Polnische Lager« ist schlicht und einfach Volksverhetzung

Das Bemühen um den guten Ruf Polens ist für mich aus diesem Grund nichts anderes als ein Element des Kampfes um die staatliche Sicherheit, ein Element der Festigung der polnischen Unabhängigkeit.

Ein Gespräch mit Maciej Świrski, dem Vorsitzenden von „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung”

„Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung” ist eine NGO, die sich allgemein für den guten Ruf Polens einsetzt. Was sind die Hauptziele der Organisation, die Sie leiten?

Vor allem streben wir das Ziel an, das negative Bild Polens, das gegenwärtig weltweit und bei der eigenen Nation vorhanden ist, zu ändern. Wir wollen die in Medien und unter Menschen herrschende Meinung über uns, die man manchmal sogar als abschätzig bezeichnen kann, revidieren und bewirken, dass unser Volk die verdiente Anerkennung findet. Unser Vorbild in dieser Hinsicht ist die jüdische Anti-Defamation League.

Ziel Nr. 2 der Liga ist die Bekämpfung der Lügen, die über Polen verbreitet werden. Es geht hier nicht nur um die Geschichte, sondern auch um die Gegenwart, denn Polen ist zurzeit einer gigantisch aggressiven Propaganda ausgesetzt. Daher verfahren wir zweispurig. Einerseits ziehen wir die Autoren der Verleumdungen zur Rechenschaft, die sich der Formulierung «polnische Konzentrationslager« bedienen, andererseits informieren wir das Ausland ehrlich über die aktuelle Situation hierzulande. Unsere Mitarbeiter haben Info-Pakete in verschiedenen Sprachfassungen vorbereitet, die wir u.a. an EP-Abgeordnete und ausländische Medien schicken. Sie enthalten z.B. Informationen über Ursachen der das Verfassungsgericht betreffenden Kontroversen oder Mitteilungen über Reformen, die in Polen momentan durchgeführt werden.

Des Weiteren sind wir sehr bemüht, unsere nationale Identität zu stärken sowie gegen eine sog. Pädagogik der Beschämung vorzugehen. Die Pädagogik der Beschämung wurde leider zum Hauptelement der antipolnischen Propaganda und dient dem Zweck, Polen auf der internationalen Bühne in Misskredit zu bringen. Sie macht es unmöglich, uns erfolgreich zu verteidigen. Deshalb liegt dem Imageschutz viel daran, unter unseren Bürgern das Gefühl zu wecken und zu festigen, auf Polen stolz sein zu können. Wir erreichen das u.a. durch Publikationen, Ausstellungen, Konzerte sowie Urban Gaming.

Zurzeit arbeiten wir intensiv am Ausbau der Abteilung „Dokumentation und Analysen” unserer Organisation. Den dort beschäftigten Analytikern steht seit kurzem ein effektives Werkzeug zur Verfügung. Es ist ein halbautomatisches System zum Suchen und Filtern von Internetinformationen, die Polen diffamierende Passagen enthalten. Dadurch können wir erfahren, welche Kategorien von Lügen auftauchen und wer sie in Umlauf bringt. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass «polnische Lager« und andere Bezeichnungen dieser Art eine Desinformation sind. Und die Desinformation ist eine der Waffen des gegenwärtigen Informationskrieges. Das Bemühen um den guten Ruf Polens ist für mich aus diesem Grund nichts anderes als ein Element des Kampfes um die staatliche Sicherheit, ein Element der Festigung der polnischen Unabhängigkeit.

Was würden Sie zu den größten Erfolgen der Liga zählen?

Unser größter Erfolg ist zweifelsohne mit dem Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter verbunden, einer rassistischen und Polen verleumdenden deutschen Filmproduktion. Es gelang uns, seine Autoren vor Gericht zu bringen. Die Rechtsanwälte, die mit dem Imageschutz in dieser Frage kooperierten, vor allem Frau Monika Brzozowska und Herr Lech Obara, erarbeiteten eine Rechtsauslegung, die polnische Gerichte als rechtmäßig angenommen haben. Laut dieser Rechtsauslegung darf jede Zivilperson, die glaubt, das Wohl des polnischen Volkes sei verletzt worden, den Täter verklagen.

Unsere Errungenschaft ist auch das Verbot von Vorführungen des Films Ida an Bord der Flugzeuge von British Airways. Dank der Mobilmachung der Gesellschaft in Form von Protesten wurde dem Vorspann dieses Films eine Erklärung hinzugefügt, die die wahre Rolle der Polen im Zweiten Weltkrieg beinhaltet. Darüber hinaus haben wir sehr viele Berichtigungen erzwungen – in Texten, in denen sich auf Polen bezogene Unwahrheiten befunden haben.

Für welche Wortwahl sollten wir uns entscheiden, wenn wir über die Lügen sprechen, die die polnische Geschichte betreffen? Trifft hier der Begriff „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” den Nagel auf den Kopf?

Die Bezeichnung „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” wurde erfunden, als die Bürgerplattform (PO) noch an der Macht war. Ich finde diesen Ausdruck sprachlich unpräzise und unscharf, er verwässert außerdem die Frage der Verantwortung. Man soll gerade bei der Problematik, über die wir uns unterhalten, das Kind beim Namen nennen, anstatt durch die Blume zu reden. Und mit dem Westen muss man über die Sprache der Political Correctness kommunizieren. Also klipp und klar sagen, dass die Worte «polnische Lager« nichts anderes als Hassrede sind, die sich, unter Verwendung der „Auschwitz-Lüge” (eng. Holocaust denial), gegen das polnische Volk richtet. Eine Hassrede, die bezweckt, Polen auf der internationalen Arena zu diskriminieren. Die Sprache der Political Correctness ist momentan leider die einzig verständliche in der medialen Welt des Westens.

Sich auf unsere moralischen Werte oder polnische Würde zu berufen, bringt nichts. Hier sprechen allerdings noch wir ein anderes Problem an, mit dem Amerika und der europäische Westen zu tun haben. Ihnen fehlt einfach der Bezug zur Wahrheit, dessen Folge der Gebrauch des Begriffes «polnische Lager« ist.

Vertreter des Außenministeriums, des EP und Mitglieder beider Kammern des Parlaments nehmen an Konferenz „Deutsche Lager, polnische Helden” teil

Der stellvertretende Außenminister Jan Dziedziczak und der Vizepräsident des Europaparlaments Ryszard Czarnecki sind Gäste der Konferenz „Wie war es wirklich? Deutsche Lager, polnische Helden”. Die Konferenz wird vom Łukasiewicz-Institut organisiert. Die ehrenhafte Schirmherrschaft übernahm der Präsident der Republik Polen Andrzej Duda. Ihre Teilname haben ebenfalls Szymon Szynkowski vel Sęk (Parlamentsabgeordneter und Chef der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe), Prof. Jan Żaryn (Mitglied des Senats), Maciej Świrski (Vorsitzender der Organisation „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung”/“Reduta Dobrego Imienia – Polska Liga Przeciw Znieslawieniom“), Mateusz Szpytma (Vizechef des Instituts für Nationales Gedenken IPN und Mitbegründer des Museums der polnischen Judenretter) angekündigt. Eingeladene Gäste diskutieren im Rahmen des Projekts, das durch das Außenministerium mitfinanziert wird.

Die Tagung findet am 15. November 2016 statt. Tagungsbeginn ist für 11.00 Uhr vorgesehen. Tagungsort ist  Raum 14 im Gebäude G des polnischen Sejm.

Höhepunkt der Konferenz wird die Podiumsdiskussion sein, an der sich die wichtigsten Vetreter der polnischen Öffentlichkeit beteiligen, wie etwa Historiker, Mitarbeiter von Museen sowie Organisationen, die Einfluss auf polnische historische Politik haben. Zu Beginn der Konferenz wird die Initiative des Łukasiewicz-Instituts vorgestellt, in deren Rahmen das Internetportal  www.jakbylonaprawde.instytutlukasiewicza.pl geschaffen wurde.

Die Helden der geposteten Materialien sind ehemalige Häftlinge der deutschen Konzentrationslager, u.a. Überlebende von Auschwitz-Birkenau, Groß-Rosen und Ravensbrück. Alle Inhalte wurden ins Englische und ins Deutsche übersetzt. Nach der Konferenz erhalten 300 amerikanische, britische sowie deutsche Redaktionen ein E-Info-Pakiet, das den Zweiten Weltkrieg aus polnischer Perspektive schildert. Das Institut bereitet darüber hinaus in drei Sprachfassungen eine Publikation vor, die im November dieses Jahres an thematisch mit dem Zweiten Weltkrieg verbundene Gedenkstätten und Museen verschickt wird.

Das Projekt ist die Antwort auf die Formulierung «polnische Konzentrationslager«, die in ausländischen Medien benutzt wird. Das Außenministerium der Republik Polen hat allein 2008-2014 über 600 Mal gegen diese Wortfügung  eingreifen müssen. Diese Bezeichnung kam in  Massenmedien von 36 Ländern zum Vorschein. Das Projekt „Wie war es wirklich? Deutsche Lager, polnische Helden” ist in Zusammenarbeit mit dem Institut für Nationales Gedenken (IPN) und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau entstanden. Unsere weiteren Projektpartner sind: Museum der polnischen Geschichte, Museum des Warschauer Aufstandes, Polnische Historische Gesellschaft, das KARTA Zentrum, Polnisch-Deutsche Parlamentariergruppe sowie Polnische Post und Polnische Wertpapierdruckerei.

Wir müssen ein System der „Entlügung” der Geschichte schaffen

Profesor Andrzej Nowak
Foto Krzysztof Sitowski

Wir sollten versuchen, uns auf dem „Markt der historischen Narrationen” zu behaupten und uns dort mit dem wahren Bild des Zweiten Weltkrieges durchzusetzten. Wir sollten das polnische Heldentum in Erinnerung rufen, unseren beispiellosen Entschluss, uns dem deutschen und  dem ihn unterstützenden sowjetischen Totalitarismus widersetzt zu haben.

Ein Gespräch mit Professor Andrzej Nowak, dem Leiter des Instituts für Geschichte Osteuropas an der Jagiellonen-Universität.

Warum benutzen ausländische Medien so oft die Formulierung »polnische Todeslager«?

Es gibt drei Hauptgründe dafür. Der erste Grund liegt in der Ignoranz der westlichen Gesellschaften, die sich für die Geschichte unserer Region nicht interessieren. Das dürfen wir ihnen aber nicht verübeln, sondern versuchen, die Wissenlücken durch edukative Handlungen auszufüllen. Am effektivsten tut das einfach die Massenkultur.

Der zweite Grund ist die Arroganz. Ein Überlegenheitsgefühl von einem Teil der westlichen Eliten, die überzeugt sind, im Osten würden minderwertige Menschen, gar Barbaren wohnen. Sie glauben fest an Folgendes: hätten die Deutschen in England oder in den USA ihre Lager errichten lassen, dann hätten alle Engländer und Amerikaner unter Lebensgefahr ihre jüdischen Nachbarn verteidigt. Und was hat der osteuropäische Pöbel gemacht? Sie voller Eifer in die Hände der deutschen Besatzer ausgeliefert. Solche Überzeugungen sind eine Form von Rassismus, gegen den man kämpfen muss.

Zum Schluss gibt es den dritten Grund. Wegen diesem Grund lässt sich gegen die Formulierung «polnische Lager« am schwierigsten ankämpfen. Es geht hier nämlich nicht um Stereotypen und Wissensdefizite, sondern um reale Interessen, die auf verschiedenen Ebenen zu entschlüsseln sind.

Welche Ebenen meinen Sie?

Die erste Ebene ist finanzieller Natur. Der deutsche Staat hat im Rahmen einer Einigung mit den Holocaust-Opfern gigantische Entschädigungen ausgezahlt und vorsorglich weitere finanzielle Ansprüche unterbunden. Die unersättliche Gewinngier bewirkt jedoch, dass viele Personen, die sich als ehemalige Opfer ausgeben, solche Ansprüche erheben. Diese Ansprüche richten sich an andere Völker und Gesellschaften und leider konzentriert sich diese spezifische Attacke auf Polen. Gerade auf ein Land, das – im Gegensatz zu Litauen oder der Ukraine – nie in einer organisierten Form mit den deutschen Massenmördern zusammengearbeitet hat.

Die zweite Ebene betrifft deutsche Interessen. Sie sind nicht finanzieller, sondern eher moralischer Natur. Es geht um die Entlastung der deutschen Verantwortung für den Völkermord. Um das Teilen dieser Verantwortung mit anderen Ländern. Das ist ein sehr wichtiges Ziel der deutschen historischen Politik. Damit ist ein konkretes, politisches Interesse verbunden: die Erneuerung der deutschen Dominanz in Europa und das Heraustreten aus dem langen Schatten des Zweiten Weltkrieges. Die geltende Narration lautet hier: vielleicht hätten die Deutschen doch etwas in die Wege geleitet, aber ohne die Polen hätten sie nichts gemacht.

Schließlich haben wir mit dem dritten Szenario zu tun. Damit ist die russische – vorher sowjetische – imperiale Politik gemeint. Gleich nach dem Krieg lag Moskau viel daran, der Welt zu zeigen, dass Polen und andere östliche Völker keines Mitgefühls würdig seien und nichts anderes als die Herrschaft der UdSSR verdient hätten.

Heutzutage wird diese Politik fortgesetzt. Ein gutes Beispiel dafür ist Jedwabne. Was dort passiert ist, ist  zweifellos sehr traurig und darf nicht vergessen werden. Die Jedwabne-Geschichte wurde aber durch die Propagandamaschinerie aufgebläht – im Dienste russischer Interessen. Daher mag es nicht verwundern, dass die meisten Reprints über Jedwabne in der russischen Presse zu lesen waren. Die dahinter stehende Absicht ist leicht abzulesen: Schaut, die Polen sind Massenmörder und Antisemiten. Und trotzdem maßen sie sich an, uns wegen Katyń anzuprangern und andere moralische Schuld Rußlands zu brandmarken.

Wie können wir dem erfolgreich entgegenwirken?

Wir sollten versuchen, uns auf dem „Markt der historischen Narrationen” zu behaupten und uns dort mit dem wahren  Bild  des  Zweiten  Weltkrieges  durchzusetzten.  Wir  sollten  das polnische  Heldentum  in  Erinnerung rufen, unseren beispiellosen Entschluss, uns dem deutschen und dem ihn unterstützenden sowjetischen Totalitarismus widersetzt zu haben. Die wirksamsten Mittel zu diesem Zweck sind Medien, Massenkultur sowie internationale Partner, die uns dabei – sei es des Gewinns wegen oder aus ideellen Gründen – unterstützen würden. Wir haben weltweit viele begabte Freunde, ihr Talent steht uns also zur Verfügung. Wir müssen ein sorgfältig organisiertes System der „Entlügung” der Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, schaffen. In den letzten 27 Jahren war unsere historische Politik schwach, reaktiv. Erst dann, wenn ein Problem aufgetaucht war, versuchten wir zu reagieren. Das war natürlich richtig, aber sich allein darauf zu beschränken, ist ineffektiv.

Die jetzige Regierung versichert, die historische Politik würde zu einer ihren Prioritäten zählen. Sehen Sie Chancen auf effektivere Aktivitäten im Kampf gegen historische Lügen über uns?

Die jetzige Regierung ist seit zehn Monaten am Ruder. Das ist eine zu kurze Zeit, um diese Aktivitäten  einschätzen zu können. Das wird erst in ein paar Jahren möglich sein. Aber gewisse Deklarationen nehmen schon reale Formen an, zum Beispiel das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe besitzt jetzt mehr finanzielle Mittel für historische Filme. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn ein Streifen á la eine Hollywood-Superproduktion über Rittmeister Pilecki, der durch seine Taten wahre Bewunderung weckt, gedreht würde.

Polen – das Land, das im Zweiten Weltkrieg den höchsten Preis zahlten musste

Die deutsche Besetzung Polens (1939–1945) begann mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939. In diesem größten militärischen Konflikt aller Zeiten erlitt Polen die schwersten Verluste. Man geht von über sechs Millionen Personen, d. h. insgesamt 22 Prozent der polnischen Bevölkerung aus, die ihr Leben lassen mussten oder zwangsumgesiedelt wurden. Die Besetzung war äußerst brutal und hinterließ irreparable Schäden, die teilweise bis heute spürbar sind.

Der deutsche Angriff auf die Zweite Polnische Republik am 1. September kam völlig überraschend. Polen hatte trotz des heldenhaften Kampfes von Soldaten und Zivilisten angesichts der militärischen Überlegenheit der Wehrmacht keine Chance. Seine Verbündeten (Frankreich und Großbritannien) ließen das Land im Stich. Gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 marschierten am 17. September sowjetische Truppen in Ostpolen ein. Beide totalitären Systeme, das nationalsozialistische und das stalinistische, teilten am 28. September den polnischen Staat unter sich auf.

Septemberfeldzug, zivile Opfer der Bombardierung Warschaus

Aus der Tatsache, dass die polnische Regierung nach dem deutschen Überfall keine Kapitulation unterschrieben hatte, resultierten brutale Vergeltungsmaßnahmen. Sie hatten vor allem Massenmorde an der Zivilbevölkerung zur Folge. Trotzdem war Polen das einzige Land im von den Deutschen besetzten Europa, das niemals mit dem Feind kollaborierte.

Auf die dem Deutschen Reich direkt angeliederten oder von Nazi-Deutschland besetzten polnischen Gebiete (das Generalgouvernement) kam eine besonders brutale Herrschaft zu. Militärführung und Zivilverwaltung waren in erster Linie auf zwei Ziele bedacht: auf die absolute »Germanisierung« durch »Entpolonisierung« und die maximale Ausbeutung des polnischen Territoriums. Bezogen auf die »östlichen Gebiete« sagte der Generalgouverneur Hans Frank, er habe einen Befehl erhalten, in dem »eine Ausnutzung des Landes durch rücksichtslose Ausschlachtung, Abtransport aller für die deutsche Kriegswirtschaft wichtigen Vorräte, Rohstoffe, Maschinen, Fabrikationseinrichtungen usw., Heranziehung der Arbeitskräfte zum Einsatz im Reich, Drosselung der gesamten Wirtschaft Polens auf das für die notdürftigste Lebenshaltung der Bevölkerung unbedingt notwendige Minimum« gefordert wurden.

Die Deutschen bekämpften rücksichtslos jedes Anzeichen des Polentums. Bei geringstem Widerstand gingen sie brutal vor. Unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht wurden die polnische Presse, die Nachrichtenagenturen und auch der polnische Rundfunk verboten und aufgelöst. In der Folge wurden sämtliche Hochschulen und Oberschulen sowie alle Universitäten geschlossen. Polnische Kulturgüter wurden zerstört oder systematisch geplündert und ins Deutsche Reich verbracht. Die Orts- und Straßennamen wurden verdeutscht. Viele Hauptmärkte erhielten die Bezeichnung »Adolf-Hitler-Platz«. In polnischer Sprache erschienen nur deutsche Zeitungen, in denen man die für die NS-Zeit charakteristische gotische Frakturschrift verwendete.

Die vom Dritten Reich annektierten Gebiete sollten »entpolonisiert«, »entjudet« und vollständig »germanisiert« werden. Die sogenannte Intelligenzaktion bezweckte die planmäßige Ermordung polnischer Eliten. Etwa 100 000 Vertreter  der polnischen Oberschicht (u.a. Wissenschaftler, Lehrer, Ärzte, Juristen, pensionierte Militärs sowie Priester) wurden entweder erschossen oder in Konzentrationslager verschleppt, wo nur eine Handvoll von ihnen dem Tod entkam. Selbst die jüngsten polnischen Bürger fielen der »Germanisierung« zum Opfer. Schätzungen zufolge wurden ca. 150.000 Kinder ihren polnischen Familien entrissen und gezielt in deutsche Familien gegeben, um sie einzudeutschen.

Die Sorge um sein Leben und das seiner Nächsten begleitete jeden Polen tagtäglich. Der deutsche Aggressor missachtete alle internationalen Rechte, darunter auch das Kriegsvölkerrecht. Es wurden selbst bei kleinsten Vergehen harte Repressalien angewendet. Die neuen Machthaber straften auch grundlos – um Angst in der Bevölkerung hervorzurufen und die vollständige Unterordnung zu erzwingen.

Der Polnische Untergrundstaat – ein weltweites Phänomen im Kampf gegen Nazi-Deutschland

Im Zeitraum 1939-45 wurden mehrere Untergrundbewegungen in den von den Deutschen besetzten Ländern gegründet. Der Polnische Untergrundstaat war jedoch eine einzigartige Erscheinung in der Geschichte des europäischen Untergrundes.
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Der Umbruch ist gekommen

Foto Institut für Nationales Gedenken

Über Jahre haben wir es versäumt, über unsere außergewöhnliche Geschichte zu berichten. Über das Phänomen des Polnischen Untergrundstaates, über die heldenhaften Soldaten der Heimatarmee. Über die Tatsache, dass Polen mit den Aggressoren nie kollaboriert hat.

Ein Gespräch mit Dr. Jarosław Szarek, dem Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (polnisch Instytut Pamięci Narodowej IPN)

Eine der wichtigsten Aufgaben des IPN ist es, der Verbreitung von historischen Lügen entgegenzuwirken. Wie wird das Institut unter Ihrer Leitung diese Aufgabe erfüllen?

Das IPN hat über 2200 Mitarbeiter, darunter viele renommierte Wissenschaftler. Dieses riesige Potenzial möchten wir nutzen, um vor allem langfristige bildungsbezogene Aktivitäten durchzuführen, die die jüngste polnische Geschichte bekannter machen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die wahre Geschichte Polen weltweit zu verbreiten. Das können wir jedoch nur dann erreichen, wenn wir uns zuerst selbst diese Geschichte erzählen.

Wie will das Institut sie vermitteln?

Vor allem dadurch, dass wir als Erstes mit der sog. Pädagogik der Beschämung, die jahrelang kultiviert wurde, Schluss machen. Die nationale Identität muss auf einer positiven Überlieferung basieren. Dies ist sogar in der Präambel der Verfassung der Republik Polen festgelegt, in der es heißt, wir seien verpflichtet, alles Wertvolle aus dem über tausendjährigen Erbe an die kommenden Generationen weiterzugeben.

Die Periode seit der Wende, also seit den 1990er Jahren, war vor allem eine Zeit der Flucht vor der Geschichte. Wenn überhaupt, dann wurden hauptsächlich nur die dunklen Kapitel der Geschichte gezeigt. Sprüche wie etwa „Wählen wir die Zukunft!” waren sehr attraktiv und halfen dabei, Wahlen zu gewinnen. Es dominierte die Botschaft, das Polentum sei eine Last und wir müssten Europäer werden. Eine der Konsequenzen solch einer Einstellung ist heutzutage die Verbreitung des Begriffs «polnische Konzentrationslager«. Hätten wir damals dagegen entschieden protestiert, würde es heute niemand wagen, deutsche Lager, deutsche Todesfabriken als «polnisch« zu bezeichnen.

Über Jahre haben wir es versäumt, über unsere außergewöhnliche Geschichte zu berichten. Über das Phänomen des Polnischen Untergrundstaates, über die heldenhaften Soldaten der Heimatarmee. Über die Tatsache, dass Polen mit den Aggressoren nie kollaboriert hat. Bisher haben wir keinen Film über den Rittmeister Witold Pilecki gedreht, der von den westlichen Historikern für einen der sechs tapfersten Menschen des Zweiten Weltkrieges gehalten wird.

Wann beginnen wir, das Versäumte nachzuholen?

Das passiert gerade. Hauptsächlich dank der jungen Generation, die sich stark für die polnische Geschichte einsetzt. Die jungen Leute tragen stolz T-Shirts in den Nationalfarben oder mit patriotischen Symbolen. Dank ihnen wird der Patriotismus wieder alltäglicher.

Die Änderung der Sichtweise sowie der Geschichtsauffassung sieht man auch auf anderen Ebenen. Als Beispiel können unsere diplomatischen Vertretungen angeführt werden. Jetzt unterstützen sie viel besser die Auslandspolen, die gegen die Formulierung «polnische Lager« protestieren. Früher war das nicht immer der Fall. Ein anderes Beispiel ist das Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges. Ursprünglich sollte es den Krieg universell darstellen. Heute hat man die Notwendigkeit erkannt, dass das Museum die Kriegsgeschichte aus polnischer Perspektive zeigen soll.