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Hölle auf Erden. Deutsche Konzentrations- und Todeslager

Polnische Konzentrations- und Vernichtungslager hat es nie gegeben. Die Orte, an denen Millionen von unschuldigen Opfern gefoltert und ermordet wurden, waren voll und ganz eine deutsche Schöpfung. Die Deutschen hatten ein Lagernetz aufgebaut, das zum Werkzeug der Liquiderung von verschiedenen Nationalitäten wurde. Juden sowie Roma und Sinti verurteilte man auf Grund der Abstammung zur kollektiven Vernichtung. Polen – vorgesehen als billige Arbeitskraft – dienten und starben in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern.

Alles begann in den 1930er Jahren im Deutschen Reich. Gleich nach Hitlers Machtergreifung entstanden erste, improvisierte Haftstätten für „Volksfeinde”. Das erste Konzentrationslager wurde nahe München, bei Dachau eingerichtet. Zunächst diente es der Inhaftierung von politischen Gegnern des NS-Regimes. Dann wurden dort auch deutsche Juden, Zeugen Jehovas und Homosexuelle gefangengenommen. Die Insassen wurden regelmäßig durch Sklavenarbeit zu Grunde gerichtet oder erschossen. Mit Kriegsbeginn und dem Verlauf des Krieges füllte sich das Lager mit Häftlingen aus allen vom Dritten Reich besetzten europäischen Ländern. Das KZ Dachau wurde zum »Muster« für andere Lager – auch für diejenigen, die die Deutschen nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 in diesem Land errichtet haben.

Freitag, der 14. Juni 1940. Der Tag, an dem der erste Häftlingstransport im KZ Auschwitz eintrifft und die Hölle auf Erden beginnt: 728 polnische politische Gefangene durchschreiten das Tor des Konzentrationslagers Auschwitz. Die Angekommenen wurden sofort jeder Hoffnung beraubt. – Ihr seid hier nicht in ein Sanatorium gekommen, sondern in ein deutsches Konzentrationslager. Sollte es einem von euch hier nicht gefallen, kann er gleich in den Draht gehen. Hier lebt man längstens drei Monate. Falls es Juden gibt, dann können sie zwei Wochen leben. Geistliche – einen Monat. Es gibt für einen Häftling nur einen Weg hier raus: durch den Schornstein des Krematoriums. – mit solchen Worten begrüßte sie der Lagerführer Karl Fritzsch.

Knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn ordnete Reichsfüher SS Heinrich Himmler am 27. April 1940 den Bau eines Konzentrationslagers in Auschwitz an. Das Ziel war präzise formuliert: die Ausrottung des polnischen Volkes. In den ersten zwei Jahren nach Errichtung des Lagers wurden dorthin vorwiegend Polen deportiert. Mit der Zeit wurde Auschwitz zu einem riesigen Lagerkomplex. Er bestand schließlich aus dem Konzentrationslager Auschwitz I (Stammlager), dem am 1. März 1942 in Betrieb genommenen Vernichtungslager Birkenau (Konzentrationslager Auschwitz II), das der industrialierten Vernichtung von größtenteils Juden diente und dem KZ Auschwitz III Monowitz. Dort mussten Häftlinge für die I.G. Farben AG Zwangsarbeit verrichten. Der Lagerkomplex umfasste darüber hinaus etwa 40 weitere Außenlager, wo den KZ-Insassen zugunsten der NS-Wirtschaft Schwerstarbeit abverlangt wurde.

Unerträglicher Hunger, mörderische Arbeit, Misshandlungen, Folter und pseudomedizinische Versuche waren in Auschwitz an der Tagesordnung. In den Häftlingen sahen die Deutschen keine Menschen mehr, sondern anstelle ihrer Namen nur nichts bedeutende Lagernummern. Daher nahmen die Lagerärzte skrupellos medizinische Experimente vor, in deren Verlauf die Häftlinge meist qualvoll starben. Eins davon war die sog. »Röntgenkastration«, bei der – zwecks Sterilisierung – männliche Hoden und weibliche Eierstöcke mit X-Strahlen bestrahlt wurden. Als Folge davon erlitten die Betroffenen im Intimbereich schwere Verbrennungen und am ganzen Körper eiternde, schlecht heilende Wunden.

Die das Lager bewachenden SS-Männer behandelten die ohnehin durch Unterernährung und Schwerstarbeit geschwächten Häftlinge auf brutalste Weise. Die von ihnen verhängten Strafen waren abgestuft. Zu den leichtesten Strafen gehörte das Schlagen mit einem Holzstock. Das geschah öffentlich, auf einem Tisch («Vollstreckungsmöbel«) in Anwesenheit aller beim Appell stehenden Blöcke. Die zweite mögliche Strafe war der „Stehbunker“. Wer sie bekommen hatte, wurde mit drei anderen Häftlingen über Nacht in einen 1m² großen Raum gezwängt, wo es kaum Platz und Luft zum Atmen gab. Am Morgen wurden die vier Häftlinge freigelassen und zur Arbeit mitgenommen, um für die nächste Nacht wieder eingeschlossen zu werden. Das Strafmass betrug normalerweise fünf Nächte, konnte aber auch erheblich höher sein. Die dritte Strafe war der „Pfahl“. Der Aufgehängte, dessen Hände hinter dem Rücken zusammengebunden waren und dessen Füsse den Boden nicht berührten, musste in dieser Haltung mehrere Stunden ausharren. Dies hatte die Auskugelung der Schultern zur Folge, so dass der Häftling nicht mehr arbeitsfähig war, was wiederum den Tod in der Gaskammer bedeutete.

Die Vergasung zählte zu einer der vielen Methoden der Tötung der KZ-Insassen. Umgebracht wurden sie auch durch Erschießen, öffentliches Erhängen oder durchs Verhungern. Insgesamt haben die Deutschen in Auschwitz etwa 1,1 Mio. Menschen ermordet: Personen unterschiedlicher Weltanschauung, Bildung sowie verschiedenen Glaubens. Es waren Männer, Frauen, Kinder und alte Leute, die 20 Nationen angehört hatten.

Solche verbrecherischen Aktivitäten betrieben die Deutschen nicht nur im KZ Auschwitz, sondern auch in anderen KZs in den von ihnen besetzten Gebieten Polens. 1940 wurde in Schlesien das KZ Groß-Rosen errichtet, in dem bis 1945 ca. 40 Tsd. Menschen ermordet wurden. Groß-Rosen folgte dann 1941 das KZ Majdanek (offiziell: KL Lublin) mit einer Gesamtopferzahl von etwa 80 Tsd. Ebenfalls zu nennen sind: KL Plaszow (ca. 7–8 Tsd. Opfer), KL Stutthof (ca. 63 Tsd. Opfer) und KL Warschau (ca. 20 Tsd. Opfer). Die Lagerführung bildeten Angehörige der SS, zu den sog. Funktionshäftlingen »avancierten« deutsche Berufsverbrecher, die vorher in den im Reich gelegenen KZs inhaftiert worden waren.

Eine besondere Kategorie der Lager im deutsch besetzten Polen stellten die Vernichtungslager dar. Sie wurden in erster Linie zwecks sofortiger Liquidierung aller europäischen Juden erbaut. Dort kamen aber auch Sinti und Roma sowie sowjetische Kriegsgefange um. Zu den «klassischen« Vernichtungslagern zählen heutzutage Kulmhof am Ner, Belzec, Sobibor und Treblinka, die ab Ende 1941 (Kulmhof) und ab 1942 (Belzec, Sobibor und Treblinka) betrieben wurden. Das KL Auschwitz und KL Lublin sind dagegen sowohl als Konzentrations- als auch als Vernichtungslager einzustufen.

Die Vernichtungslager dienten dem Zweck, möglichst viele Personen in möglichst kurzer Zeit zu töten. In Kulmhof am Ner wurden die Opfer in sog. Gaswagen umgebracht, die man als fahrbare Gaskammern einsetzte. Den Tod bewirkten die durch Kfz-Motoren produzierten Abgase, die in die dicht verschlossenen Transportfahrzeuge eingeleitet wurden. Auf diese Art und Weise kamen 200 bis 300 Tsd. u.a. deutsche, österreichische, französische, belgische oder holländische Juden ums Leben. Zu den Ermordeten zählten ebenfalls polnische Bewohner von Pflegeheimen aus Lodz (polnisch: Łódź) und Leslau (polnisch: Włocławek) sowie polnische Kinder aus der Region Zamość. Die meisten Opfer von Belzec (450 Tsd.) und Sobibor (170-180 Tsd.) waren jüdischer Abstammung. Dasselbe gilt für das Vernichtungslager Treblinka, dem größten nationalsozialistischen Vernichtungslager im deutsch besetzten Polen. Die Gesamtzahl der dort ermordeten Menschen liegt deutlich über 800 Tsd. Ab Dezember 1942 begannen die Deutschen, die Vernichtungslager Schritt für Schritt abzubauen. Die letzten existierten bis Januar 1945 und wurden dann aufgelöst. Die Gaskammern wurden zerstört, Teile der Baracken ließ man per Bahn transportieren. Die Gelände wurden umgepflügt und mit Gras bepflanzt…

Außer den Konzentrations- und Vernichtungslagern errichteten die Deutschen auf polnischen Gebieten unzählige andere Lager, von denen die Zwangsarbeitslager die häufigsten waren und bis zum Kriegsende existierten. Ihre Insassen wurden u.a. beim Straßenbau, beim Bau der Befestigungsanlagen oder in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Todesrate unter den Häftlingen war enorm hoch – bedingt durch Hunger, Misshandlungen und katastrophale Lebensbedingungen.

Gepostete Bilder mit freundlicher Genehmigung des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau

Witold Pilecki: Freiwillig nach Auschwitz, um über deutsche Greueltaten zu berichten

Auf unsere Köpfe schlugen nicht nur die Gewehrkolben der SS-Männer – es traf uns noch viel mehr. Unser gewohntes Weltbild samt den von uns geglaubten Werten wurden brutal mit den Füßen zertrampelt – so beschrieb Witold Pilecki, einer der größten Helden in der polnischen Geschichte, seine Ankunft im KZ Auschwitz. Er ging dorthin freiwillig, um unter Gefangenen den Widerstand zu organisieren sowie – als Augenzeuge – die Außenwelt zu informieren.

1940 wusste der Polnische Untergrundstaat wenig über die deutschen Aktivitäten in Auschwitz. Man hielt es für ein Internierungslager oder ein großes Gefängnis. Um Informationen über das Lager aus dem Inneren zu sammeln und dramatische Meldungen von Einzelpersonen über die dort stattfindenden Grausamkeiten glaubwürdig zu machen, wurde ein kühner Plan gefasst. Ein Untergrundsoldat soll sich nach Auschwitz einschleusen lassen. Der Kavallerie-Offizier Witold Pilecki, Teilnehmer des Polnisch-Sowjetischen Krieges (1919-21) und des Septemberfeldzuges (1939) meldete sich zur Ausführung dieser lebensgefährlichen Mission freiwillig.

Am 19. September 1940 ging er bei einer Razzia in Warschau auf die Straße und wurde zusammen mit anderen unschuldigen Zivilisten von den Deutschen gefangengenommen. Nach zwei Tagen, in der Nacht auf den 22. September, durchschritt Pilecki das Auschwitzer Lagertor mit der berüchtigten Aufschrift „Arbeit macht frei”. Auf seinem Unterarm wurde die ihm zugewiesene Häftlingsnummer 4859 tätowiert. – Die ersten Tage fühlte ich mich völlig benommen. Es war so, als wäre ich von der Erde auf einen anderen Planeten katapultiert worden – konstatierte Pilecki, unmittelbar konfrontiert mit der unvorstellbaren Brutalität der deutschen Lagerfunktionäre.

Ungeachtet dessen nahm er im KZ sofort eine konspirative Tätigkeigt auf. Pilecki hatte die Geheime militärische Organisation (polnisch Tajna Organizacja Wojskowa, kurz TOW) gegründet und geleitet. Organisierte Selbsthilfe unter Insassen, Verbesserung ihrer Moral und Kommunikation mit der Außenwelt waren ihre Hauptaufgaben. Die TOW arbeitete auch an der Vorbereitung ihrer Truppen auf einen Aufstand, der zum Ziel hatte, die Kontrolle über das Lager zu übernehmen. Pilecki und seine Leute lieferten der polnischen Heimatarmee regelmäßig Berichte über den Lageralltag. Dies geschah über Hältlinge, denen die TOW bei Fluchtversuchen half. Nach über zwei Jahren in der Hölle von Auschwitz entschloss Pilecki sich, selber die Flucht zu ergreifen, was ihm in der Nacht vom 26. zum 27. April 1943 in einer waghalsigen, minutös geplanten Aktion gelang.

Nach der Flucht verfasste Witold Pilecki einen detaillierten Bericht über die Zustände in Auschwitz und über die Aktivitäten der TOW. Zum Rittmeister (polnisch rotmistrz) befördert, setzte er in der Heimatarmee den Kampf gegen die deutschen Aggressoren fort, u.a. beim Warschauer Aufstand. Danach durchlitt er mit anderen Aufständischen das Stammlager (Stalag) Lamsdorf und das Offizierslager (Oflag) Murnau.

Nach Kriegsende kehrte Pilecki in das von der Roten Armee befreite Polen zurück. Zwar waren die Deutschen weg, aber für das Land bedeutete das keinen Sieg. Wie die meisten patriotisch gesinnten Untergrundsoldaten wollte Witold Pilecki kein sowjetisch dominiertes Vaterland. Daher setzte er seinen Kampf fort – diesmal gegen die kommunistischen Besatzer. Von den neuen Machthabern am 8. Mai 1947 festgenommen, während des Verhörs bestialisch gefoltert, wurde ihm anschließend ein Schauprozess gemacht. Abgestempelt als „Faschist“ und „Agent des Imperialismus“ und wegen angeblicher Spionage verurteilte das kommunistische Gericht den polnischen Helden zum Tode. Am 25. Mai 1948 wurde das Todesurteil durch Genickschuss vollstreckt.

Pileckis Auschwitz-Berichte waren die ersten glaubwürdigen Zeugnisse über das tragische Schicksal der KZ-Insassen sowie die dortigen deutschen Verbrechen, die offiziell in die Hände der Alliierten geraten sind. Doch diese blieben passiv, weil man seine Berichte für übertrieben hielt.

Pater Maximilian Kolbe: Freiwillig in den Tod, um einen Menschen und die Menschlichkeit zu retten

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Pater Maximilian Kolbe

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Der Hungerbunker

Franciszek GajowniczekAuschwitz-Häftling Franciszek Gajowniczek, für den Pater Kolbe in den Tod ging

Der 29. Juli 1941 im KZ Auschwitz. Die Sirenen heulen schrill. Die hart schuftenden Häftlinge horchen auf. Die Deutschen ordnen einen Sonderappell an. Alle Arbeitskommandos werden akribisch durchgezählt. Fazit: Ein Insasse vom Block 14A fehlt. Flucht aus dem KZ. Für die Lagerordnung ein klarer Fall. Für den Entflohenen müssen als Vergeltungsmaßnahme zehn Häftlinge mit dem Tod büßen.

Die Häftlinge des Blocks 14A stehen aufgereiht den ganzen Tag und die ganze Nacht still. Am darauffolgenden Morgen erscheint vor den wegen der nächtlichen Kälte durchgefrorenen Männern der Lagerführer Karl Fritzsch. Er geht langsam durch die Reihen, fixiert alle mit den Augen, deutet ab und zu mit der Hand auf einen Unglücklichen hin und sagt: »Du!« So sortiert er zehn Häftlinge für den Hungertod im berüchtigten »Hungerbunker« des Blocks 11 aus. Einer von ihnen ist Franciszek Gajowniczek, Sergeant der polnischen Armee, Teilnehmer des Septemberfeldzuges 1939 und aktives Mitglied der polnischen Untergrundbewegung.

Ich war vollkommen fassungslos. Ich brach in lautes Wehklagen um meine Frau und meine Kinder aus, erinnert er sich Jahre danach. Bis zum Kriegsende blieb der 1995 verstorbene Gajowniczek KZ-Insasse, zuletzt im KZ Sachsenhausen, wohin er im Oktober 1944 verlegt worden war.

Plötzlich kommt Bewegung in die Gefangenen. Einer von ihnen verlässt seine Reihe und bahnt sich den Weg nach vorn. Ein unerhörter, sonst von den Deutschen im Lager mit der sofortigen Erschießung bestrafter Frevel. Aber diesmal – wie durch ein Wunder – geschieht nichts. Der Franziskaner Maximilian Kolbe steht nun von Angesicht zu Angesicht Fritzsch gegenüber und bittet diesen, den Platz von Gajowniczek einnehmen zu dürfen.

Was will dieses polnische Schwein?, fragt der wütende SS-Hauptsturmführer seinen Assistenten.
Ich möchte anstelle dieses Gefangenen sterben, erwidert Kolbe und weist auf Gajowniczek hin.
Wer bist du?
Ein polnischer katholischer Priester.
Warum wollen Sie für ihn sterben?, fragt der Lagerführer nach. Auf einmal siezt er den Häftling, eine in deutschen Konzentrationslagern undenkbare Sache.
Er hat Frau und Kinder.
Bitte gewährt!

Die zehn Männer werden zum »Hungerbunker« abgeführt. Kolbe geht als Letzter und unterstützt dabei einen Leidensgenossen, der schwach auf den Beinen ist. Alle zehn werden nackt in eine kleine Zelle eingepfercht, um dort langsam zu verhungern. Nach einigen Tagen wird die Bunkertür aufgemacht, um die Leichen zu beseitigen. Es stellt sich heraus, dass Pater Kolbe noch am Leben ist. Seinem Leben wird durch eine Phenolspritze, die der Funktionshäftling Hans Bock ihm injiziert, am 14. August 1941 endgültig ein Ende gemacht. Am nächsten Tag wird der Körper im Krematorium verbrannt.

Die Aufopferung des polnischen Priesters zeigt, wie stark Nächstenliebe sein kann – selbst an dem von einer schrecklichen Schändung der menschlichen Würde so geprägten Ort wie Auschwitz. 1971 wurde der Ordensbruder durch Papst Paul VI. seliggesprochen. Bei der Heiligsprechung am 10. Oktober 1982 durch den polnischen Papst Johannes Paul II., bei der auch Franciszek Gajowniczek zugegen war, wurde der Märtyrertod des Franziskaners anerkannt. Der freiwillige Tod von Maximilian Kolbe war ein Siegesakt. Die Menschenliebe errang einen Sieg dort, wo Hass und Menschenverachtung zu triumphieren schienen, hieß es in der Papstpredigt.

Gepostete Bilder stammen aus dem Niepokalanów-Archiv

Parlamentspräsident unterstützt das Projekt des Łukasiewicz-Instituts

Warum benutzen die internationalen Medien immer wieder den Ausdruck «polnische Konzentrationslager«? Wie sollte man dem effektiv entgegenwirken? Die Antwort auf diese Fragen suchen Teilnehmer einer Konferenz, die im polnischen Sejm vom Łukasiewicz-Institut organisiert wird. Das Projekt „Deutsche Lager, polnische Helden” wird von Marek Kuchciński, dem Sejmmarschall der Republik Polen unterstützt. Weiterlesen

Besucher aus dem Ausland staunen über polnische Tapferkeit

Foto Instituts für Nationales Gedenken

Je mehr das Ausland über den Zweiten Weltkrieg weiß, desto weniger Verzerrungen der Geschichte. Und dadurch umso weniger den Polen gegenüber ungerechte Bezeichnungen wie «polnische Lager«.

Ein Gespräch mit Dr. Mateusz Szpytma, dem stellvetretenden Leiter des Instituts für Nationales Gedenken und Mitbegründer des Familie Ulma-Museums für polnische Judenretter in Markowa

Die Ulmas wurden wegen des Versuchs, Juden zu retten, ermordet. Dadurch wurden sie zum Symbol einer außergewöhnlichen Tapferkeit und Aufopferung. Und eine solche Haltung war im deutsch besetzten Polen keine Ausnahme, oder?

In der Tat gab es definitiv mehr Familien, die Juden im Zweiten Weltkrieg geholfen haben. Infolge dieser unternommenen Hilfeleistung haben die Deutschen ca. 1 Tsd. Polen getötet. Die Ulmas wurden zum Symbol, weil wir ausnahmsweise viel über ihr Leben und die Umstände ihres dramatischen Todes wissen. Außerdem waren sie wirklich großartige Menschen.

Lässt sich überhaupt feststellen, wie viele Polen sich an der Judenrettung im besetzten Polen beteiligt haben?

Leider gibt es keine klare Antwort auf diese Frage. Der Grund dafür ist, dass wir bisher keine diesbezüglichen Forschungen durchgeführt haben. Laut Schätzungen geht man jedoch davon aus, dass die Polen im Krieg 40 Tsd. bis sogar 100 Tsd. Juden gerettet haben könnten. Um ein jüdisches Leben zu retten, mussten ca. 10 Personen zusammenarbeiten. Man kann also vorsichtig annehmen, dass mindestens 400 Tsd. Polen in die Judenrettung involviert waren. Das ist wirklich eine imposante Zahl, vor allem wenn man bedenkt, dass selbst für die kleinste Unterstützung von Juden ihren Helfern die Todesstrafe drohte. Nicht nur ihnen direkt, sondern – im Rahmen der damals geltenden Sippenhaftung – auch ihren Nächsten.

Weiß die Welt davon?

Im Ausland ist diese Frage leider so gut wie unbekannt. Ausländische Besucher des Familie Ulma-Museums sind meistens überrascht, wenn sie mit eigenen Augen mit der Tatsache konfrontiert werden, wie viele Polen ihren Mut und Tapferkeit bewiesen haben. Zumal Polen weltweit leider immer noch als ein antisemitisches Land angesehen wird.

Wie kann man gegen dieses Stereotyp ankämpfen?

Zuerst müssen wir in puncto Judenrettung genau recherchieren und dann die Forschungsergebnisse veröffentlichen und so die Öffentlichkeit davon in Kenntnis setzen. Zum Beispiel mit Hilfe von thematischen Museumsausstellungen. Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass diesbezügliche Filmproduktionen entstehen sollten. Jede mit der Judenrettung verbundene Geschichte ist nämlich derart faszinierend, dass sie sich ideal für ein Filmdrehbuch eignet. Was noch enorm wichtig ist: wir müssen wir bei jedem Versuch der Geschichtsfälschung entschieden reagieren und auf Edukation setzen. Je mehr das Ausland über den Zweiten Weltkrieg weiß, desto weniger Verzerrungen der Geschichte. Und dadurch umso weniger den Polen gegenüber ungerechte Bezeichnungen wie «polnische Lager«.

Polnische Helden. Die Gerechten in grausamen Zeiten

In keinem anderen der von den Deutschen in der NS-Zeit besetzten Länder wurde die Hilfe für Juden so unerbittlich verfolgt und bestraft wie in Polen. Trotzdem haben tausende Polen ihre jüdischen Nachbarn vor der Schoah gerettet.

»Juden, die das ihnen zugewiesene Wohngebiet unbefugt verlassen, werden mit dem Tode bestraft. Die gleiche Strafe trifft Personen, die solchen Juden wissentlich Unterschlupf gewähren. Anstifter und Gehilfen werden wie der Täter, die versuchte Tat wird wie die vollendete bestraft«, so hieß es im Wortlaut der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkung im Generalgouvernement vom 15. Oktober 1941. Auf dem 1939 bis 1945 vom Deutschen Reich militärisch besetzten Gebiet der Zweiten Polnischen Republik unter dem Generalgouverneur und NSDAP-Funktionär Hans Frank wurde dies gnadenlos durchgesetzt. Die Todesstrafe wurde auch beim kleinsten Versuch der Judenrettung verhängt. Die Höchststrafe galt sogar für das Wissen um einen sich versteckenden Juden.

Trotz der Bedrohung durch die Todesstrafe waren viele Polen bereit, Juden zu unterstützen. Die geleistete Hilfe hatte häufig einen individuellen Charakter, nahm aber auch organisierte Strukturen an. Im Dezember 1942 wurde der Hilfsrat für Juden (polnisch Rada Pomocy Żydom „Żegota”) gegründet. In Zusammenarbeit mit dem zivilen Bereich des Polnischen Untergrundstaates gaben sich beide Organisationen Mühe, die Juden mit Medikamenten und Nahrung zu versorgen sowie für sie Unterschlüpfe und gefälschte Urkunden zu beschafften.

Die Zahl der polnischen Judenretter ist schwer zu berechnen. Um ein jüdisches Leben zu retten, mussten laut Schätzungen vieler Historiker über 10 Personen konspirativ zusammenarbeiten. Das bestätigen Zeitzeugenberichte wie etwa der der polnischen Schriftstellerin und Journalistin Hanna Krall, die das Warschauer Ghetto überlebte. In ihrem Text »Das Spiel um mein Leben« (polnisch: »Gra o moje życie«) schreibt sie: »Im Spiel um mein Leben wurden 45 Menschenleben aufs Spiel gesetzt.« Man nimmt an, dass sich insgesamt einige tausend Polen auf unterschiedliche Art und Weise an der Rettung von Juden beteiligten. Ihr Leben riskierten alle Schichten der polnischen Gesellschaft: Akademiker, einfache Arbeiter und Bauern, sowohl Großstädter als auch Dorfbewohner.

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Genauso schwer abzuschätzen ist die Zahl der Polen, die infolge der Rettung der Juden ihr Leben lassen mussten. Die jüngsten Untersuchungen dokumentieren ca. 760 Fälle von Personen, die aus diesem Grund von den Deutschen getötet wurden. Viel höher ist dagegen die Zahl derer, die man dafür inhaftiert oder in ein KZ deportiert hat. Eines der tragischsten und symbolischsten Beispiele für die Aufopferung für jüdische Mitbürger ist die Familie Ulma aus dem kleinen Dorf Markowa. Da die Ulmas im Haus acht Juden versteckten, wurden alle Familienmitglieder – Józef Ulma, seine schwangere Frau und ihre sechs Kinder – von den Deutschen ermordet.

Das Heldentum der polnischen Judenhelfer dokumentiert Yad Vashem – »die Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust«. Mit der Medaille »Gerechter unter den Völkern«, auf der der signifikante Spruch »Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt« eingraviert ist, sind bisher über 6.620 Polen ausgezeichnet worden. Das ist die größte Anzahl von nicht jüdischen Einzelpersonen, die während des Zweiten Weltkrieges ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten. Die lebendige Erinnerung an die heldenhafte Haltung der Polen sind unzählige Bäume, die in der »Allee der Gerechten unter den Völkern« in Yad Vashem gepflanzt wurden.

Die Ulmas. Symbol des polnischen Heldentums angesichts deutscher Bestialität

Sie waren eine liebevolle Familie. Er arbeitete hart, um seine Familie zu ernähren, sie war Hausfrau, kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Ihre außerordentliche Haltung während der deutschen Besatzung in Polen machte sie zum Symbol des Heldentums. Zum Symbol für alle Polen, die für die Rettung der Juden ihr Leben opferten.

Die Ulmas wohnten in Markowa im Südosten Polens. Obwohl Józef nur vier Klassen der Volksschule und einen Kurs für Landwirte absolviert hatte, war er ein vielseitig begabter Mensch. Er war u. a. Gerber, Imker und Fotograf und züchtete Obstbäume und Seidenraupen. Unentgeltlich arbeitete er in einer Bibliothek. Seine Frau Wiktoria war mit den sechs Kindern voll eingespannt. Die Ulmas führten zwar ein bescheidenes, aber ein ruhiges und glückliches Leben. Sie setzten es aufs Spiel, als sie Mitte 1942 zwei sich versteckenden jüdischen Familien – insgesamt acht Personen – in ihrem Haus Unterschlupf gewährten. Józef und Wikoria waren sich bewusst, dass sie diesen Schritt mit dem Tod bezahlen müssen, sollten die Deutschen davon erfahren. Gemäß der damals geltenden Gesetze wurde die Todesstrafe – Sippenhaftung inklusive – beim kleinsten Versuch der Rettung von Juden verhängt.

Am kühlen Morgen des 24. März 1944 fuhren vor das Haus der Ulmas vier Fuhrwagen vor. Die Angekommenen waren acht deutsche Gendarmen und die sog. Blaue Polizei (von der deutschen Verwaltung aufgestellte Polizeieinheiten, die aus Mitgliedern der Vorkriegspolizei Polens gebildet wurden). Während die polnischen Polizisten draußen blieben, handelten die Deutschen schnell und rücksichtslos. Sie drangen ins Haus ein und brachten sofort alle versteckten Juden um. Anschließend schleppten sie Józef und die hochschwangere Wiktoria auf den Hof und erschossen sie vor den Augen ihrer Kinder. Für die sechs Kinder kannten die Verbrecher ebenfalls keine Gnade. Die achtjährige Stanisława, der fünfjährige Władysław, der vierjährige Franciszek, der dreijährige Antoni und die anderthalbjährige Maria teilten bald das Schicksal ihrer Eltern. Seht, wie die polnischen Schweine verrecken, die die Juden versteckten, soll einer der Gendarmen, Joseph Kokott, bei der Exekution gerufen haben.

Was veranlasste die Ulmas, ihr Leben zu riskieren, um andere zu retten? Niedrige Beweggründe wie etwa die Absicht, sich zu bereichern, kann man zweifellos ausschließen, weil bei den ermordeten Juden viele Ersparnisse gefunden wurden. Alles deutet darauf hin, dass das Hauptmotiv ihrer Handlung schlicht und einfach das Mitgefühl für ihre jüdischen Nachbarn war. Józef Ulma half bereits zuvor einer anderen vierköpfigen jüdischen Familie, die sich im nahe gelegenen Wald versteckt hatte. Er baute für sie ein Grubenhaus und versorgte sie regelmäßig mit Essen. Die Deutschen entdeckten das Versteck jedoch und brachten die Juden um; den Helfer konnten sie nicht ausfindig machen.

Von den Werten, von denen die Ulmas sich haben leiten lassen, zeugt die bei ihnen zu Hause gefundene Bibel, in der zwei signifikante Fragmente markiert wurden. Das eine war das unterstrichene Kapitel »Das Gebot der Liebe. Der barmherzige Samariter«, das andere die Frage: »Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten?«.

1995 wurden Józef und Wiktoria Ulma postum mit der Medaille »Gerechter unter den Völkern« geehrt. 2010 hat sie der polnische Präsident Lech Kaczyński mit dem Orden der Wiedergeburt Polens »Polonia Restituta« ausgezeichnet. Im Vatikan findet zurzeit der Akt der Seligsprechung der Familie statt. In Markowa wurde im März 2016 das den Namen der Familie tragende Museum der polnischen Judenretter eröffnet.

Gepostete Bilder mit freundlicher Genehmigung des Familie Ulma-Museums der polnischen Judenretter in Markowa

Gründe, warum die Formulierung «polnische Todeslager« den Polen Unrecht tun

Ausländische Medien verwenden relativ oft die unkorrekte Wortfügung »polnische Todeslager/polnische Konzentrationslager«. Das Außenministerium der Republik Polen hat allein 2008-2014 über 600 Mal gegen diese Formulierung eingreifen müssen. Dieser unwahre Ausdruck wurde von Massenmedien in 36 Ländern benutzt – am häufigsten in den Vereinigten Staaten (110), in Großbritanien (97) und Deutschland (77).

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Schaut, wie wir wirklich waren!

Ein sehr wichtiger Kurswechsel ist auch in unserer Diplomatie eingetreten. Sie setzt sich jetzt engagierter ein, wenn es um die polnische Staatsräson geht. Uns erreichen zahlreiche Signale, dass unsere Diplomaten stärker auf antipolnische Aussagen oder Gedankenkürzel wie «polnische Konzentrationslager« reagieren.

Ein Gespräch mit Prof. Jan Żaryn, Mitglied des Senats, der zweiten Parlamentskammer der Republik Polen

Was sollten wir machen, damit die Welt Polen im Zweiten Weltkrieg mit dem heldenhaften Kampf gegen die Besatzer und nicht mit Konzentrationslagern assoziiert?

Am effektivsten ist in dieser Frage sicher die positive Narration. Anstatt sich bei sich wiederholenden Lügen ständig beleidigt zu zeigen, sollten wir der Welt stolz sagen: „Schaut, wie wir wirklich waren!” Ein Beispiel für solch eine positive Message ist das Familie Ulma-Museum der polnischen Judenretter in Markowa. Weltweit gibt es immer noch das falsche Stereotyp, dass der Katholizismus als Weltanschauung half, den Holocaust zu akzeptieren. Das ist eine ungeheure Lüge, die das polnische Volk und die katholische Kirche auf übelste Art und Weise verunglimpft. Um derartige Verleumdungen erfolgreich zu bekämpfen, sollte man Initiativen wie die Gründung des Museums in Markowa fördern.

Eine lohnenswerte Bemühung wäre es auch, die oben erwähnte positive Narration über Polen der Welt im Rahmen der Popkultur zu präsentieren. Bereits in der Wahlkampagne hat die Partei Recht und Gerechtigkeit eine Filmproduktion zu diesem Thema angekündigt. Auf die einfache Formel gebracht: ein großartiger Film oder eine gut gemachte Fernsehserie würden helfen, das wahre Bild Polens und die Rolle unseres Landes im Zweiten Weltkrieg einem weltweiten Publikum zu zeigen. Eine derart markante Erfahrung wie unsere Begegnung mit zwei totalitären Systemen ist in einem Drehbuch durchaus erzählenswert.

Warum ist es uns bisher nicht gelungen, diese positive Überlieferung zu popularisieren?

Da seit den 1990er Jahren die polnische Geschichtspolitik eine sog. Politik der Beschämung war. Sie wurde von unseren politischen Institutionen und einem großen Teil der meinungsbildenden Kreise gefördert. Im Rahmen dieser Politik sollte unsere Geschichte nicht ans Licht kommen, weil sie das Schlechte schlechthin verkörperte. Sie war nämlich angeblich durch Antisemitismus, Chauvinismus und Xenophobie gekennzeichnet. Da sie uns angeblich daran hindern würde, wieder ins Abendland zurückzukehren und sich dort zu etablieren. Diese Überzeugung wirkte sich leider auf die Geschichtspolitik nach außen hin aus. Personen, die unsere Errungenschaften in der Geschichte betont haben, wurden aufs Abstellgleis geschoben. Genauso wie diejenigen, die auf unser Recht pochten, den Westen wegen seiner Politik Polen gegenüber im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit zu kritisieren. Stets fehlten finanzielle Mittel für Projekte, die unsere Geschichte ins rechte Licht rücken würden ‒ sei es im Rahmen der Massen- oder Hochkultur.

Was hat sich in dieser Hinsicht getan, seitdem Ihre Partei Recht und Gerechtigkeit am Ruder ist?

Im Gegensatz zu unseren Vorgängern haben wir vor allem den gesellschaftlichen Willen erkannt, sich mit einem Symbol des polnischen Volksheldentums identifizieren zu wollen. Ich meine hier in erster Linie das positive Symbol von den Verstoßenen Soldaten. Deshalb ist der 1. März, der Nationale Tag des Gedenkens an die Verstoßenen Soldaten, ein wichtiges Datum unseren Patriotismus zu zeigen. Die Staatsverwaltung unterstützt alle von unten kommenden Initiativen, die sich das zum Ziel gesetzt haben.

Ein sehr wichtiger Kurswechsel ist auch in unserer Diplomatie eingetreten. Sie setzt sich jetzt engagierter ein, wenn es um die polnische Staatsräson geht. Uns erreichen zahlreiche Signale, dass unsere Diplomaten stärker auf antipolnische Aussagen oder Gedankenkürzel wie «polnische Konzentrationslager« reagieren. Wir müssen in dieser Frage entschieden handeln, weil solche negativen Erscheinungen eine bewusst falsche Interpretation des Zweiten Weltkrieges fördern und verhindern, uns mit der Wahrheit über die polnische Geschichte durchzusetzen. Ganz zu schweigen davon, dass sie auch unsere politische Sicherheit bedrohen können.

Unsere Reaktionen müssen entschieden sein

Polen hat weltweit ziemlich viele Feinde. Eine uns gegenüber sehr negative Geschichtspolitik führen die Russen. Auch in Deutschland gibt es einige meinungsbildende Kreise, die versuchen, die Verantwortung des deutschen Volkes für die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen zu verringern. Wir haben mit einer großen Anzahl an Verfälschungen und Manipulationen zu tun.

Ein Gespräch mit Prof. Wojciech Roszkowski, dem Vorsitzenden des Rates des Museums der polnischen Geschichte

Wie sollten wir unsere Geschichte vermitteln, damit die Welt beginnt, sich für sie zu interessieren?

Ein breites westliches Publikum mit dem polnischen point of view zu erreichen, ist eine ungeheuer schwierige Aufgabe. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass der Westen die Geschichte als eine wenig interessante wissenschaftliche Disziplin betrachtet. Was allerdings nicht bedeuten soll, dass wir deshalb die Hände in den Schoß legen. Ganz im Gegenteil – die ganze Zeit muss nach neuen Handlungsfeldern gesucht werden. Beispielsweise: wenn die größten westlichen Medien und Verlage für polnische Autoren unerreichbar sind, dann können wir ausländische Lehrbuchautoren zu uns einladen und versuchen, sie für unsere Geschichte zu gewinnen. Wir sollten alles daran setzen, dass solche historischen Ereignisse wie der Warschauer Aufstand im Westen präsent sind, damit sie uns helfen, gegen Stereotype über Polen anzukämpfen. Vor allem gegen das Stereotyp über Polen als das Land, das für die deutschen Verbrechen mitverantwortlich ist.

Sind diese Stereotype stark verbreitet?

Ja, leider ist das der Fall. Sogar der US-Präsident Barack Obama benutzte in seiner Rede den Ausdruck «polnisches Lager«, als er Jan Karski, den Kurier der Polnischen Heimatarmee und einen der wichtigsten Zeugen des Holocaust posthum mit der Freiheitsmedaille geehrt hat. Schuld daran war bestimmt nicht Obamas böser Wille. Auch seiner Umgebung sollte man keine schlechten Absichten unterstellen. Der Versprecher resultierte aus Ignoranz und Stereotypen, die seit langem bewusst verbreitet werden.

Wer verbreitet sie?

Polen hat weltweit ziemlich viele Feinde. Eine uns gegenüber sehr negative Geschichtspolitik führen die Russen. Auch in Deutschland gibt es einige meinungsbildende Kreise, die versuchen, die Verantwortung des deutschen Volkes für die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen zu verringern. Wir haben mit einer großen Anzahl an Verfälschungen und Manipulationen zu tun. Daher redet der Westen heutzutage nicht mehr vom «ersten deutschen Konzentrationslager Dachau«, sondern von «Dachau, the first Nazi concentration camp«. Dagegen wird Auschwitz als «polnisches Lager« bezeichnet, obwohl die Polen dort nur eines der vielen Opfer waren.

Wenn die Formulierung «polnische Lager« in ausländischen Medien erscheint, dann müssen wir…

Bestimmt müssen unsere Reaktionen entschiedener sein als das unsere Diplomatie bis dato getan hat. Meiner Ansicht nach sollte man ausländische Medien einfach davor warnen, dass die Bezeichnung «polnische Konzentrationslager« als Hassrede interpretiert werden kann und dass sie deutsche Verbrechen in Frage stellt. Solche Warnungen sprechen die Leute besser an als sanfte Formulierungen über die polnische Würde. Es lohnt sich auch, präventiv zu handeln. Eine der NGOs verschickt z.B. solche Mahnungen an Medien. Das macht sie vor jedem runden Jahrestag, der sich auf den Zweiten Weltkrieg bezieht. Empfehlenswert ist jedes Handeln, das das Wissen von ausländischen Journalisten erweitert sowie sie für das Problem «polnische Lager« sensibilisiert. Alle unsere Aktivitäten müssen auf jeden Fall konsequent sein – nur dann können wir diesbezüglich etwas ändern. Ich fürchte aber, dass der Erfolg in dieser Hinsicht noch lange auf sich warten lassen wird.