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Die Welt vergaß die polnischen Kriegsopfer

In vielen Personenkreisen wird das Erinnern an die Leiden der Polen für Taktlosigkeit, unzureichende Kenntnis bzw. Unterordnung unter die polnische Propaganda gehalten.

Interview mit Prof. Wanda Jarząbek vom Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Forschungsschwerpunkt u.a. Deutsch-polnische Beziehungen im 20. Jahrhundert.

Polen ist der Staat, der während des Zweiten Weltkriegs den höchsten Preis bezahlte. Warum geriet dies so bald in Vergessenheit?

Gleich nach dem Krieg, aber noch in den 1960er Jahren, erinnerte man sich sehr gut an die polnischen Kriegsopfer und Polen wurde als ein Land angesehen, das durch den Krieg sehr schwer getroffen worden war. Seit dem Ende der 1960er Jahre begann sich dies jedoch zu ändern, dauerte in den 1970er an und nahm in den 1980er Jahren zu. Inzwischen hatte sich weitgehend die Geschichtspolitik Israels, das die Holocaustopfer nicht mehr als diejenigen betrachtete, die über ihren Tod freiwillig entschieden, ohne den Mut gegen diesen anzukämpfen, sondern begann darüber zu sprechen, wie sehr diese Opfer leiden mussten. Man begann auch die Helden zu schätzen, die Aufstände organisierten, z.B. den Aufstand im Warschauer Ghetto. Zu diesem Thema entstanden  zahlreiche Filme, sowohl Dokumentar- als auch Spielfilme. Die Frage nach dem Holocaust hielt Einzug in alle Geschichtslehrbücher. Ebenfalls in Deutschland fand damals eine deutliche Veränderung in der Wahrnehmung der Vergangenheit statt. In die Politik, Medien, Schulen und an die Unis kam auch die dritte Generation, die bereits nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde und sprach immer öfter darüber, dass auch die Deutschen gelitten hatten. Man sprach sehr viel von den deutschen Opfern des nationalsozialistischen Regimes sowie von den Deutschen, die Opfer der Politik der Alliierten wurden. Von den 1950er Jahren an wurden in der BRD Erinnerungen von Personen gesammelt, die die ehemaligen deutschen Gebiete im Osten verlassen mussten, infolge von Evakuierung, Flucht vor der Roten Armee, wilden Vertreibungen bzw. Überführungen aufgrund der Beschlüsse seitens der Siegerstaaten. Es ist inzwischen das Wort „Vertreibung” üblich geworden, das sehr emotional belastet ist. Es wurde normalerweise nicht daran erinnert, dass die „Überführung“  durch die Großen Vier , im Potsdamer Abkommen entschieden  worden war, von dem drei Staaten nach dem Krieg zu Verbündeten der BRD wurden. Schließlich wurde immer mehr von Zivilisten und zufälligen Opfern der Bombardierungen und Flächenbombardements gesprochen.

In Polen indessen, wo die kommunistischen Behörden regierten, wurde vom Krieg am häufigsten sehr ideologisch gesprochen. Wegen des sog. Kalten Kriegs und der Zugehörigkeit der Volksrepublik Polen (PRL) zum Ostblock erfuhren die in Polen durchgeführten Geschichtsforschungen nie eine größere wissenschaftliche Verbreitung. Polnische Filmproduktionen und Literatur waren nur in geringem Maße in der Welt bekannt. In den 1990er Jahren konzentrierte sich die Geschichtsforschungen auf Themen, die früher verboten waren, d.h. auf das Schicksal der Polen im Osten  (unter Sowjetischer Besatzung) . Es wurde jedoch übersehen, dass die Polen nicht als Opfer des Dritten Reiches, sondern allmählich als Zuschauer oder sogar Mittäter angesehen wurden sowie als Personen, die aus dem Schaden der Mitmenschen materiellen Vorteil hatten, d.h. von Holocaustopfern und aus Vertreibungen. Während wir also stumm blieben, erhielten die Leute im Westen in Schulen, aus Filmen und Massenmedien ein ganz anderes Bild der Vergangenheit.

Wie wird heute die Rolle Polens während des Zweiten Weltkriegs weltweit gesehen?

Im Westen besteht oft das Missverständnis, dass Polen sich gern in der Opferrolle sehen, sie waren mittlerweile, nach allgemeiner Ansicht, vor allem Mittäter. In vielen Personenkreisen wird das Erinnern an die Leiden der Polen für Taktlosigkeit, unzureichende Kenntnis bzw. Unterordnung unter die polnische Propaganda gehalten. Polen sei daher für viele Personen keineswegs das erste Kriegsopfer, sondern ein Staat, der sich irgendwie an der verbrecherischen Politik der Deutschen beteiligte. Wir wurden als ein Volk angesehen, das sich eigentlich gegen die Deutschen kaum gewehrt hatte und mit den ideologischen Überzeugungen des Dritten Reiches, wie Antisemitismus, bzw. Ablehnung der parlamentarischen Demokratie übereinstimmte. In vielen Geschichtsbüchern wird Józef Piłsudski in dieselbe Reihe mit autoritären Herrschern oder Diktatoren (wie z. B. Hitler, Mussolini) gestellt. Es ist die Rede vom polnischen Faschismus, wozu ebenfalls die Kommunisten beitrugen, die alle politischen Gegner so nannten. Im Westen ist die Rede von Polen, die mit Deutschen zusammenarbeiteten, die echten Kollaborateure Deutschlands, wie z. B. Letten und Ukrainer, die in separaten nationalen Militäreinheiten organisiert waren, werden jedoch oft vergessen.

Warum verfehlt dieses Bild so klar die Tatsachen?

In den westlichen Ländern wird bei der Schulbildung Polen fast komplett übersprungen und die Vorstellungen vom Krieg basieren oft nicht auf zuverlässiger Kenntnis, sondern auf Informationen aus der Massenkultur. In Letzterer tauchen viele Mythen über unser Land auf. Auch in Dokumentarfilmen, wie z. B. dem berühmten „Shoah“, wo die Polen als Menschen gezeigt werden, die von der Vernichtung der Juden profitierten, da sie z.B. deren Häuser bewohnten.

Darüber hinaus wurde das sog. Rivalisieren ums Leiden auf eine ganz andere Ebene gehoben. Es wird oft nicht von den harten Fakten, sondern von unterschiedlichen Narrationen gesprochen, die auf Erinnerungen der Zivilisten basieren. Die Erzählungen der Kriegsopfer werden eigentlich gleichbehandelt, denn Leiden wird von den Menschen ähnlich wahrgenommen – unabhängig davon, ob sie das Volk betreffen, das die Kriegsverbrecher gebar, oder das Volk, das zum Opfer ihres Angriffs wurde.

Deswegen wird es immer schwerer für uns, sich mit unserer Erzählung über den Zweiten Weltkrieg durchzusetzen.

Die Veränderung dieses verzerrten, meistens negativen Bildes von Polen ist selbstverständlich möglich, erfordert jedoch harte und beharrliche Arbeit. Inzwischen müssen wir sagen, dass immer noch nicht viel getan wird. Es bleiben sogar in den Hochschulkreisen viele nicht korrigierte, falsche Darstellungen bestehen. Im Westen erscheinen immer noch Bücher und andere Veröffentlichungen über Polen, die auf vereinfachte Art und Weise die Einstellungen der Polen während des Krieges darstellen. Ich vermisse dagegen Rezensionen von polnischen Autoren, die Stellung zu diesen Veröffentlichungen nehmen. Überdies kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Geschichtsunterricht in polnischen Schulen sich hinsichtlich des Unterrichtsprogramms an die Prioritäten der im Westen herausgegebenen Geschichtsbücher orientiert.

Lassen wir die Opfer zu Wort kommen

Unser Hauptprojekt sind „Die Aufzeichnungen des Terrors” (polnisch „Zapisy terroru”). Mit diesem Projekt bezwecken wir, die europaweit größte Datenbank mit Berichten und Zeugnissen von Zeitzeugen zu schaffen. Wir möchten die Opfer und ihre Nächsten und Nachkommen zu Wort kommen lassen

Ein Gespräch mit Anna Gutkowska, der geschäftsführenden Direktorin des Witold-Pilecki-Zentrums für Forschungen  über Totalitarismen

 Zu welchem Zweck wurde das Zentrum ins Leben gerufen?

Das  Zentrum soll zum Nachdenken über polnische Erfahrungen mit der Konfrontation mit zwei totalitären Systemen anregen.  Es wurde gegründet, um das Wissen über das tragische Schicksal Polens im 20. Jahrhundert bekannt zu machen sowie es erfolgreich in die Weltgeschichte mit einzubeziehen. Wir arbeiten interdisziplinär, d.h. wir möchten eine Brücke zwischen Wissenschaft und Kultur schlagen. Unser Ziel ist es, kulturgeschichtliche Projekte, die sich auf  Ereignisse des vorangegangenen Jahrhunderts beziehen, aus der Taufe zu heben und zu unterstützen. Unsere Tätigkeit konzentriert sich vor allem darauf, die totalitären Verbrechen zu dokumentieren, die dokumentierten Materialien  ins Englische, die heutige „lingua franca”, zu übersetzen sowie die Quellentexte dem breiten Publikum zugänglich zu machen. Mit dem breiten Publikum meine ich u.a. Meinungsführer im In- und Ausland.

Welche Projekte werden zurzeit vom Zentrum durchgeführt?

Unser Hauptprojekt sind „Die Aufzeichnungen des Terrors” (polnisch „Zapisy terroru”). Mit diesem Projekt bezwecken wir, die europaweit größte Datenbank mit Berichten und Zeugnissen von Zeitzeugen zu schaffen. Wir möchten die Opfer und ihre Nächsten und Nachkommen zu Wort kommen lassen. Ohne Zweifel steht uns ein schwieriges Unterfangen bevor, denn wir verfolgen das Ziel, mit der gesammelten Dokumentation die wichtigsten polnischen akademischen Zentren, Bibliotheken und Medien zu erreichen. Das ist eine enorm wichtige Aufgabe – wir beabsichtigen, dass die gegründete Datenbank als  Forschungsquelle  weltweit benutzt wird. Eine Forschungsquelle, an der kein Wissenschaftler bei seinen Recherchen und Publikationen – sowohl aus moralischen als auch aus methodologischen Gründen –  gleichgültig vorbeigehen könnte. Auf der Website zapisyterroru.pl  sind schon über 800 Dokumente zugänglich. Die Hälfte davon wurde bereits ins Englische übersetzt. Und ab 2017 wird für die Interessierten eine funktionsreiche Web-Schnittstelle auf Englisch zur Verfügung stehen.

Des Weiteren organisieren wir Konferenzen, darunter auch solche, die einen internationalen Charakter haben, wie das im November dieses Jahres der Fall war. Die damals stattgefundene Konferenz, deren Teilnehmer renommierte  Juristen waren, haben wir der Problematik der Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewidmet, die im deutsch besetzten Polen verübt worden sind. Wir beleuchteten sie näher am Beispiel des Massakers vom Warschauer Bezirk Wola von 1944, das zu einem der grausamsten Massaker an der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg zählt. Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ist die schon vorher erwähnte edukative Tätigkeit. Mit dem Film „Wolhynien” (polnisch „Wołyń”) in der Regie von Wojciech Smarzowski begannen wir neulich das Projekt „Bilder der Geschichte” (polnisch „Obrazy historii”). In seinem Rahmen werden Streifen gezeigt, die die wichtigsten Ereignisse unserer Geschichte thematisieren, sowie Diskussionen geführt, an denen sich Autoren, Historiker und das Publikum beteiligen. Die Resonanz auf „Wolhynien” war riesengroß. Der Kinosaal platzte aus allen Nähten, es kamen ca. 500 Personen und – was mich sehr gefreut hat –  unter den Zuschauern waren viele junge Leute.

Wie sehen Sie die Rolle des Zentrums bei der Frage, deutscher Kriegsverbrechen in Polen zu gedenken? Können auch ehemalige deutsche Lager, die zu verschiedenen Gedenkstätten wurden, diese  Aufgabe erfüllen?

Die Gebiete der ehemaligen Lager haben einen durchaus symbolischen Charakter. In den meisten Fällen sind sie Grabstellen von Abertausenden von Opfern des Dritten Reiches, eine Art schockierender Denkmäler der Bestialität. Sie stellen aber auch materielle Spuren und Beweise des Völkermordes, der Verbrecher gegen die Menschlichkeit und der Negation der humanistischen Errungenschaften sowie der abendländischen Kultur dar. Sie bezeugen darüber hinaus den moralischen Verfall der Täter. Diese Orte sind eine Warnung – ein Warnsignal für die nächsten Generationen.

Unser Zentrum beschäftigt sich mit dem Festhalten und Bekanntmachen der komplizierten und tragischen Schicksale unserer Bürger und ihrer Nachkommen. Wir hoffen, dass die Weltöffentlichkeit dank der englischen Translation diese Erfahrungen endlich teilen wird. Es ist kein falsches Pathos, wenn ich sage, es ist höchste Zeit dafür. Deshalb arbeiten wir an der Webseite chronicleofterror.pl.

Von wem kam die Initiative, das Zentrum zu gründen?

Die Gründung unseres Zentrums war die Krönung der Bemühungen seiner Initiatorin, Frau Professor Magdalena Gawin, der Untersekretärin im Ministerium für Kultur und Nationalerbe. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Auftakt des Projekts „Die Aufzeichnungen des Terrors” war u.a. die Familie Pilecki, des Patrons unseres Zentrums, zugegen – seine Tochter Zofia Pilecka-Opułtowicz und sein Sohn Andrzej Pilecki.  Anwesend war auch sein Neffe – Professor Edward Radwański samt Gemahlin. Witold Pilecki bleibt bis heute der größte Held des polnischen Untergrunds, ein Mensch von außergewöhnlichen Eigenschaften und beispielloser Tapferkeit. Er ist ein Symbol der Solidarität mit Opfern und des tragischen Kampfes gegen zwei totalitäre Systeme, das nationalsozialistische und das kommunistische. In diesem Sinne ist seine Person die ideale Figur für unsere Einrichtung. Unsere Mission besteht darin, harte Tatsachen über das 20. Jahrhundert, das nicht ohne Grund das Jahrhundert der Totalitarismen genannt wird, weltweit bekannt zu machen. Wir bemühen uns, den Stempel, den es Polen und seinen Bürgern aufgedrückt hat, zu zeigen. Insbesondere geht es uns dabei um zivile Opfer des deutschen und sowjetischen Regimes. Es ist die Zeit dafür gekommen, dass man uns  hört.

Wir müssen die Wahrheit über deutsche Konzentrationslager fordern

Die Kultivierung des Wissens über polnische Helden ist neben Zeitzeugenberichten eine sehr wirksame Methode, um die historische Wahrheit zu festigen. Wir sollten  so oft wie nur möglich an großartige Gestalten aus unserer Geschichte erinnern.

Ein Gespräch mit Jan Dziedziczak, dem stellvertretenden Außenminister der Republik Polen

Vor einigen Monaten haben Sie Karol Tendera mit der Ehrenmedaille Bene Merito geehrt. Sie wird  an Personen vergeben, die sich in besonderem Maße für das Land Polen im Ausland stark machen. Herr Tendera ist einer der Helden des Projekts „Deutsche Lager, polnische Helden”. Sehr engagiert kämpft er gegen die Lüge über «polnische Konzentrationslager«. Glauben Sie, dass ein Appell der ehemaligen KZ-Insassen gegen die Geschichtsverfälschung die westliche Öffentlichkeit wirksam beeinflussen kann?

Herr Karol Tendera ist einer der wenigen noch lebenden Personen, die die Wahrheit über die deutschen Konzentrationslager bezeugen können. Der Wert des Appells der ehemaligen Häftlinge der KZs lässt sich nicht unterschätzen. Sie als besondere Zeitzeugen vermitteln die Wahrheit über das deutsch besetzte Polen im Zweiten Weltkrieg und haben Einfluss auf das Bild Polens im Ausland. Es ist unsere Pflicht, von ihren einmaligen Erinnerungen Gebrauch zu machen. Die Erinnerungen sind oft sehr emotional, deshalb sprechen sie die Leute stärker als beste wissenschaftliche Abhandlungen an. Wir sind in einer komfortablen Lage, denn wir brauchen unsere Geschichte nicht zu verschönern. Wir müssen nur die Wahrheit fordern. Aus diesem Grund schlägt das polnische Außenministerium vor, in der Presse und im Internet die Formulierung „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” zu verwenden.  Wir verfolgen dadurch das Ziel, den Ausdruck „deutsche Konzentrationslager” in der Öffentlichkeit einzuprägen sowie falsche Bezeichnungen wie «polnische Konzentrationslager« zu eliminieren.

Wie beurteilen Sie die sich wiederholenden Fälle der Benutzung der Formulierung «polnische Konzentrationslager«? Zeugen sie davon, dass die Welt nicht weiß oder vielleicht langsam vergisst, wer die Täter und wer die Opfer der Verbrechen in den Lagern waren?

Ich hoffe, dass die Benutzung dieser Formulierung vor allem aus Ignoranz resultiert. Und dass kein böser Wille dahinter steckt. Das Außenministerium bezweckt in dieser Hinsicht zweierlei zu tun. Erstens – gegen sie konsequent zu reagieren und zweitens – für das Problem zu sensibilisieren. Ich glaube, dass sie dadurch immer seltener gebraucht wird und mit der Zeit – nicht mehr. Die häufigste Entschuldigung für diese Wortfügung ist, «polnisch« beziehe sich auf die geographische Lage der Lager. Für uns ist das ein völlig inakzeptables Argument. Deutsche Konzentrationslager gab es nämlich in vielen europäischen Ländern.  Die Rede von «polnischen Konzentrationslagern« ist also bewusste Verfälschung der Geschichte, die unbedingt vermieden werden soll. Es ist eine große Herausforderung für den polnischen Staat, unsere historischen Einrichtungen sowie unsere Bürger und das Ausland über die gegenwärtige polnische Geschichte effektiv und redlich informieren.

Wie sollte man ausländischen Journalisten erklären, dass die Formulierung «polnische Konzentrationslager« die Geschichte verfälscht? Können dazu, Ihrer Ansicht nach, z.B. informativ-edukative Projekte wie das Projekt des Łukasiewicz-Instituts beitragen? Wir bemühen uns sehr, die historische Wahrheit ans Licht zu bringen.

Zuerst ist es notwendig, in Bezug auf deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager den richtigen Sprachgebrauch einzuprägen. Diese Notwendigkeit betrifft u.a. polnische Journalisten. Das Fehlen unserer gemeinsamen und objektiven Geschichtsbetrachtung bringt nämlich fatale Folgen mit sich. Die Öffentlichkeit, darunter viele ausländische Journalisten, haben entweder Wissensdefizite oder missverstehen viele, für die polnische Geschichte wichtige Fragen. Den Hitler-Stalin-Pakt, den deutschen und sowjetischen Überfall auf Polen im Jahre 1939, die Komplexität der Besatzung der polnischen Gebiete, darunter die polnisch-jüdischen Beziehungen und den Einfluss der Lager nicht nur auf das Leben der Häftlinge, sondern der ganzen Gesellschaft – um nur einige von diesen Fragen zu nennen.

Unsere Rolle besteht darin, mit der historischen Wahrheit ein breites Publikum zu erreichen und sie – vor allem im Ausland – zu verbreiten. Das Außenministerium ist um diesbezügliche edukative Handlungen sehr bemüht. Wir arbeiten in dieser Hinsicht u.a. mit dem Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej IPN) und der Stiftung „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung” (“Reduta Dobrego Imienia – Polska Liga Przeciw Zniesławieniom) zusammen. Ein Beispiel für solche Aktivitäten sind die von uns organisierten Studienbesuche für ausländische Meinungsführer, wie etwa für Historiker – Experten für polnische Geschichte, Geschichte unserer Region oder Spezialisten für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Auch Journalisten aus dem Ausland sind unsere Gäste. Uns obliegt eine große Verantwortung, das Wissen an nächste Generationen weiterzugeben sowie der Tragödie des Zweiten Weltkrieges kontinuierlich zu gedenken.

Glauben Sie, dass es unsere Pflicht ist, über das Heldentum der Polen gerade in diesen Zeiten zu reden? Können die Familie Ulma, der Hl. Maximilian Kolbe oder der Rittmeister Pilecki helfen, die polnische Geschichte erfolgreich ins rechte Licht zu rücken?

Die Kultivierung des Wissens über polnische Helden ist neben Zeitzeugenberichten eine sehr wirksame Methode, um die historische Wahrheit zu festigen. Wir sollten  so oft wie nur möglich an großartige Gestalten aus unserer Geschichte erinnern. Es gab sehr viele davon, darunter auch aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die heldenhafte Haltung von einfachen Leuten beeinflusst das positive Bild aller Polen. Wir sollten darum danach streben, über die von Ihnen erwähnten Helden Polen als das Land zu zeigen, für dessen Volk gewisse Werte und die Ehre am wichtigsten sind. Uns als eine Nation zu präsentieren, die bereit ist, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um sie zu verteidigen sowie auch ihr Leben zu riskieren, um ein anderes zu retten. Wir haben viele hervorragende Figuren, deren Vita  universelle Werte vermittelt. Sie können für die heutige Jugend als Vorbild dienen und eignen sich sehr gut, an ihnen die polnische historische Wahrheit zu rekonstruieren.

Sollten polnische Meinungsführer nicht nur dem Ausland, sondern auch unseren Bürgern die Botschaft  vermitteln, dass der polnische Staat entschieden gegen die Formulierung «polnische Konzentrationslager« reagieren wird? Sehen Sie die Notwendigkeit dazu und mögliche Vorteile dieses Schrittes?

Es ist natürlich dringend nötig, die verbale Vervielfältigung dieser Formulierung und anderer falscher Begriffe versuchen zu stoppen. Es ist schädlich, die „fehlerhaften Codes des Gedächtnisses” im Polnischen zu fixieren, indem man sie mehrfach gerade in den Interviews oder Publikationen verwendet, die bezwecken, ihnen entgegenzuwirken. Den Hauptvorteil sehe ich in der Popularisierung der historischen Wahrheit und in der Glaubwürdigkeit Polens in der Weltöffentlichkeit. Solange wir uns aber selber falscher Ausdrücke bedienen werden, solange wird es schwierig sein, gegen sie in den ausländischen Medien anzukämpfen.

Gibt es nach Ihrem Dafürhalten in der polnischen Öffentlichkeit einen  Konsens über die Notwendigkeit, die Geschichtsverfälschungen zu bekämpfen? Einige Kreise sind der Meinung, dass wir diesbezüglich überreagieren und die Gründe dafür in unseren Minderwertigkeitskomplexen liegen würden.

Das positive Bild Polens sowie der Kampf um die historische Wahrheit sollten unser gemeinsames Ziel sein. Die Reaktionen auf Lügen dürfen nicht als Ausdruck von Minderwertigkeitskomplexen gedeutet werden. Das Streben nach der Wahrheit ist die Pflicht jedes Menschen. Und die Wahrheit ist, dass es im deutsch besetzten Polen deutsche Konzentrationslager gegeben hat. Wir dürfen dabei nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass die Geschichte die gegenwärtige Meinung über Polen beeinflusst. Um so mehr müssen wir uns bemühen, Schritte zu unternehmen, die die aktuelle und künftige Lage unseres Staates stärken werden.

Wie sehen Sie die Rolle der Auslandspolen (der sog. Polonia) bei der Problematik, über die wir uns unterhalten? Können auch sie den Lügen über Polen und das polnische Volk entgegenwirken?

Die Rolle der Polonia ist vielleicht sogar wichtiger als unsere Rolle hierzulande. Es waren doch die Polonia-Verbände, die als erste Organisationen auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Sie machten uns bewusst, dass hinter diesen falschen Bezeichnungen eine ernste Bedrohung steckt. Die kanadische Polonia protestierte bereits in den 1980er Jahren vor dem Sitz der „Toronto-Star” gegen die unkorrekten Begriffe, die diese Zeitung benutzt hatte. Die Auslandspolen haben einen direkten Zugang zu den Medien und der Öffentlichkeit der Länder, in denen sie wohnen. Daher können sie auch auf historische Lügen schnell reagieren und sie den zuständigen polnischen Behörden melden. Es ist klar, dass die Polonia eine große Verantwortung für das Kreieren des Polenbildes trägt. Deshalb ist es enorm wichtig, dass alle ihre Organisationen unisono über die polnischen Helden und die polnisch-jüdischen Beziehungen sprechen sowie sich lautstark für die richtige Wortwahl im Falle der «polnischen«  Konzentrationslager einsetzen.

«Polnische Lager« ist schlicht und einfach Volksverhetzung

Das Bemühen um den guten Ruf Polens ist für mich aus diesem Grund nichts anderes als ein Element des Kampfes um die staatliche Sicherheit, ein Element der Festigung der polnischen Unabhängigkeit.

Ein Gespräch mit Maciej Świrski, dem Vorsitzenden von „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung”

„Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung” ist eine NGO, die sich allgemein für den guten Ruf Polens einsetzt. Was sind die Hauptziele der Organisation, die Sie leiten?

Vor allem streben wir das Ziel an, das negative Bild Polens, das gegenwärtig weltweit und bei der eigenen Nation vorhanden ist, zu ändern. Wir wollen die in Medien und unter Menschen herrschende Meinung über uns, die man manchmal sogar als abschätzig bezeichnen kann, revidieren und bewirken, dass unser Volk die verdiente Anerkennung findet. Unser Vorbild in dieser Hinsicht ist die jüdische Anti-Defamation League.

Ziel Nr. 2 der Liga ist die Bekämpfung der Lügen, die über Polen verbreitet werden. Es geht hier nicht nur um die Geschichte, sondern auch um die Gegenwart, denn Polen ist zurzeit einer gigantisch aggressiven Propaganda ausgesetzt. Daher verfahren wir zweispurig. Einerseits ziehen wir die Autoren der Verleumdungen zur Rechenschaft, die sich der Formulierung «polnische Konzentrationslager« bedienen, andererseits informieren wir das Ausland ehrlich über die aktuelle Situation hierzulande. Unsere Mitarbeiter haben Info-Pakete in verschiedenen Sprachfassungen vorbereitet, die wir u.a. an EP-Abgeordnete und ausländische Medien schicken. Sie enthalten z.B. Informationen über Ursachen der das Verfassungsgericht betreffenden Kontroversen oder Mitteilungen über Reformen, die in Polen momentan durchgeführt werden.

Des Weiteren sind wir sehr bemüht, unsere nationale Identität zu stärken sowie gegen eine sog. Pädagogik der Beschämung vorzugehen. Die Pädagogik der Beschämung wurde leider zum Hauptelement der antipolnischen Propaganda und dient dem Zweck, Polen auf der internationalen Bühne in Misskredit zu bringen. Sie macht es unmöglich, uns erfolgreich zu verteidigen. Deshalb liegt dem Imageschutz viel daran, unter unseren Bürgern das Gefühl zu wecken und zu festigen, auf Polen stolz sein zu können. Wir erreichen das u.a. durch Publikationen, Ausstellungen, Konzerte sowie Urban Gaming.

Zurzeit arbeiten wir intensiv am Ausbau der Abteilung „Dokumentation und Analysen” unserer Organisation. Den dort beschäftigten Analytikern steht seit kurzem ein effektives Werkzeug zur Verfügung. Es ist ein halbautomatisches System zum Suchen und Filtern von Internetinformationen, die Polen diffamierende Passagen enthalten. Dadurch können wir erfahren, welche Kategorien von Lügen auftauchen und wer sie in Umlauf bringt. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass «polnische Lager« und andere Bezeichnungen dieser Art eine Desinformation sind. Und die Desinformation ist eine der Waffen des gegenwärtigen Informationskrieges. Das Bemühen um den guten Ruf Polens ist für mich aus diesem Grund nichts anderes als ein Element des Kampfes um die staatliche Sicherheit, ein Element der Festigung der polnischen Unabhängigkeit.

Was würden Sie zu den größten Erfolgen der Liga zählen?

Unser größter Erfolg ist zweifelsohne mit dem Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter verbunden, einer rassistischen und Polen verleumdenden deutschen Filmproduktion. Es gelang uns, seine Autoren vor Gericht zu bringen. Die Rechtsanwälte, die mit dem Imageschutz in dieser Frage kooperierten, vor allem Frau Monika Brzozowska und Herr Lech Obara, erarbeiteten eine Rechtsauslegung, die polnische Gerichte als rechtmäßig angenommen haben. Laut dieser Rechtsauslegung darf jede Zivilperson, die glaubt, das Wohl des polnischen Volkes sei verletzt worden, den Täter verklagen.

Unsere Errungenschaft ist auch das Verbot von Vorführungen des Films Ida an Bord der Flugzeuge von British Airways. Dank der Mobilmachung der Gesellschaft in Form von Protesten wurde dem Vorspann dieses Films eine Erklärung hinzugefügt, die die wahre Rolle der Polen im Zweiten Weltkrieg beinhaltet. Darüber hinaus haben wir sehr viele Berichtigungen erzwungen – in Texten, in denen sich auf Polen bezogene Unwahrheiten befunden haben.

Für welche Wortwahl sollten wir uns entscheiden, wenn wir über die Lügen sprechen, die die polnische Geschichte betreffen? Trifft hier der Begriff „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” den Nagel auf den Kopf?

Die Bezeichnung „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” wurde erfunden, als die Bürgerplattform (PO) noch an der Macht war. Ich finde diesen Ausdruck sprachlich unpräzise und unscharf, er verwässert außerdem die Frage der Verantwortung. Man soll gerade bei der Problematik, über die wir uns unterhalten, das Kind beim Namen nennen, anstatt durch die Blume zu reden. Und mit dem Westen muss man über die Sprache der Political Correctness kommunizieren. Also klipp und klar sagen, dass die Worte «polnische Lager« nichts anderes als Hassrede sind, die sich, unter Verwendung der „Auschwitz-Lüge” (eng. Holocaust denial), gegen das polnische Volk richtet. Eine Hassrede, die bezweckt, Polen auf der internationalen Arena zu diskriminieren. Die Sprache der Political Correctness ist momentan leider die einzig verständliche in der medialen Welt des Westens.

Sich auf unsere moralischen Werte oder polnische Würde zu berufen, bringt nichts. Hier sprechen allerdings noch wir ein anderes Problem an, mit dem Amerika und der europäische Westen zu tun haben. Ihnen fehlt einfach der Bezug zur Wahrheit, dessen Folge der Gebrauch des Begriffes «polnische Lager« ist.

Wir müssen ein System der „Entlügung” der Geschichte schaffen

Profesor Andrzej Nowak
Foto Krzysztof Sitowski

Wir sollten versuchen, uns auf dem „Markt der historischen Narrationen” zu behaupten und uns dort mit dem wahren Bild des Zweiten Weltkrieges durchzusetzten. Wir sollten das polnische Heldentum in Erinnerung rufen, unseren beispiellosen Entschluss, uns dem deutschen und  dem ihn unterstützenden sowjetischen Totalitarismus widersetzt zu haben.

Ein Gespräch mit Professor Andrzej Nowak, dem Leiter des Instituts für Geschichte Osteuropas an der Jagiellonen-Universität.

Warum benutzen ausländische Medien so oft die Formulierung »polnische Todeslager«?

Es gibt drei Hauptgründe dafür. Der erste Grund liegt in der Ignoranz der westlichen Gesellschaften, die sich für die Geschichte unserer Region nicht interessieren. Das dürfen wir ihnen aber nicht verübeln, sondern versuchen, die Wissenlücken durch edukative Handlungen auszufüllen. Am effektivsten tut das einfach die Massenkultur.

Der zweite Grund ist die Arroganz. Ein Überlegenheitsgefühl von einem Teil der westlichen Eliten, die überzeugt sind, im Osten würden minderwertige Menschen, gar Barbaren wohnen. Sie glauben fest an Folgendes: hätten die Deutschen in England oder in den USA ihre Lager errichten lassen, dann hätten alle Engländer und Amerikaner unter Lebensgefahr ihre jüdischen Nachbarn verteidigt. Und was hat der osteuropäische Pöbel gemacht? Sie voller Eifer in die Hände der deutschen Besatzer ausgeliefert. Solche Überzeugungen sind eine Form von Rassismus, gegen den man kämpfen muss.

Zum Schluss gibt es den dritten Grund. Wegen diesem Grund lässt sich gegen die Formulierung «polnische Lager« am schwierigsten ankämpfen. Es geht hier nämlich nicht um Stereotypen und Wissensdefizite, sondern um reale Interessen, die auf verschiedenen Ebenen zu entschlüsseln sind.

Welche Ebenen meinen Sie?

Die erste Ebene ist finanzieller Natur. Der deutsche Staat hat im Rahmen einer Einigung mit den Holocaust-Opfern gigantische Entschädigungen ausgezahlt und vorsorglich weitere finanzielle Ansprüche unterbunden. Die unersättliche Gewinngier bewirkt jedoch, dass viele Personen, die sich als ehemalige Opfer ausgeben, solche Ansprüche erheben. Diese Ansprüche richten sich an andere Völker und Gesellschaften und leider konzentriert sich diese spezifische Attacke auf Polen. Gerade auf ein Land, das – im Gegensatz zu Litauen oder der Ukraine – nie in einer organisierten Form mit den deutschen Massenmördern zusammengearbeitet hat.

Die zweite Ebene betrifft deutsche Interessen. Sie sind nicht finanzieller, sondern eher moralischer Natur. Es geht um die Entlastung der deutschen Verantwortung für den Völkermord. Um das Teilen dieser Verantwortung mit anderen Ländern. Das ist ein sehr wichtiges Ziel der deutschen historischen Politik. Damit ist ein konkretes, politisches Interesse verbunden: die Erneuerung der deutschen Dominanz in Europa und das Heraustreten aus dem langen Schatten des Zweiten Weltkrieges. Die geltende Narration lautet hier: vielleicht hätten die Deutschen doch etwas in die Wege geleitet, aber ohne die Polen hätten sie nichts gemacht.

Schließlich haben wir mit dem dritten Szenario zu tun. Damit ist die russische – vorher sowjetische – imperiale Politik gemeint. Gleich nach dem Krieg lag Moskau viel daran, der Welt zu zeigen, dass Polen und andere östliche Völker keines Mitgefühls würdig seien und nichts anderes als die Herrschaft der UdSSR verdient hätten.

Heutzutage wird diese Politik fortgesetzt. Ein gutes Beispiel dafür ist Jedwabne. Was dort passiert ist, ist  zweifellos sehr traurig und darf nicht vergessen werden. Die Jedwabne-Geschichte wurde aber durch die Propagandamaschinerie aufgebläht – im Dienste russischer Interessen. Daher mag es nicht verwundern, dass die meisten Reprints über Jedwabne in der russischen Presse zu lesen waren. Die dahinter stehende Absicht ist leicht abzulesen: Schaut, die Polen sind Massenmörder und Antisemiten. Und trotzdem maßen sie sich an, uns wegen Katyń anzuprangern und andere moralische Schuld Rußlands zu brandmarken.

Wie können wir dem erfolgreich entgegenwirken?

Wir sollten versuchen, uns auf dem „Markt der historischen Narrationen” zu behaupten und uns dort mit dem wahren  Bild  des  Zweiten  Weltkrieges  durchzusetzten.  Wir  sollten  das polnische  Heldentum  in  Erinnerung rufen, unseren beispiellosen Entschluss, uns dem deutschen und dem ihn unterstützenden sowjetischen Totalitarismus widersetzt zu haben. Die wirksamsten Mittel zu diesem Zweck sind Medien, Massenkultur sowie internationale Partner, die uns dabei – sei es des Gewinns wegen oder aus ideellen Gründen – unterstützen würden. Wir haben weltweit viele begabte Freunde, ihr Talent steht uns also zur Verfügung. Wir müssen ein sorgfältig organisiertes System der „Entlügung” der Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, schaffen. In den letzten 27 Jahren war unsere historische Politik schwach, reaktiv. Erst dann, wenn ein Problem aufgetaucht war, versuchten wir zu reagieren. Das war natürlich richtig, aber sich allein darauf zu beschränken, ist ineffektiv.

Die jetzige Regierung versichert, die historische Politik würde zu einer ihren Prioritäten zählen. Sehen Sie Chancen auf effektivere Aktivitäten im Kampf gegen historische Lügen über uns?

Die jetzige Regierung ist seit zehn Monaten am Ruder. Das ist eine zu kurze Zeit, um diese Aktivitäten  einschätzen zu können. Das wird erst in ein paar Jahren möglich sein. Aber gewisse Deklarationen nehmen schon reale Formen an, zum Beispiel das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe besitzt jetzt mehr finanzielle Mittel für historische Filme. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn ein Streifen á la eine Hollywood-Superproduktion über Rittmeister Pilecki, der durch seine Taten wahre Bewunderung weckt, gedreht würde.

Der Umbruch ist gekommen

Foto Institut für Nationales Gedenken

Über Jahre haben wir es versäumt, über unsere außergewöhnliche Geschichte zu berichten. Über das Phänomen des Polnischen Untergrundstaates, über die heldenhaften Soldaten der Heimatarmee. Über die Tatsache, dass Polen mit den Aggressoren nie kollaboriert hat.

Ein Gespräch mit Dr. Jarosław Szarek, dem Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (polnisch Instytut Pamięci Narodowej IPN)

Eine der wichtigsten Aufgaben des IPN ist es, der Verbreitung von historischen Lügen entgegenzuwirken. Wie wird das Institut unter Ihrer Leitung diese Aufgabe erfüllen?

Das IPN hat über 2200 Mitarbeiter, darunter viele renommierte Wissenschaftler. Dieses riesige Potenzial möchten wir nutzen, um vor allem langfristige bildungsbezogene Aktivitäten durchzuführen, die die jüngste polnische Geschichte bekannter machen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die wahre Geschichte Polen weltweit zu verbreiten. Das können wir jedoch nur dann erreichen, wenn wir uns zuerst selbst diese Geschichte erzählen.

Wie will das Institut sie vermitteln?

Vor allem dadurch, dass wir als Erstes mit der sog. Pädagogik der Beschämung, die jahrelang kultiviert wurde, Schluss machen. Die nationale Identität muss auf einer positiven Überlieferung basieren. Dies ist sogar in der Präambel der Verfassung der Republik Polen festgelegt, in der es heißt, wir seien verpflichtet, alles Wertvolle aus dem über tausendjährigen Erbe an die kommenden Generationen weiterzugeben.

Die Periode seit der Wende, also seit den 1990er Jahren, war vor allem eine Zeit der Flucht vor der Geschichte. Wenn überhaupt, dann wurden hauptsächlich nur die dunklen Kapitel der Geschichte gezeigt. Sprüche wie etwa „Wählen wir die Zukunft!” waren sehr attraktiv und halfen dabei, Wahlen zu gewinnen. Es dominierte die Botschaft, das Polentum sei eine Last und wir müssten Europäer werden. Eine der Konsequenzen solch einer Einstellung ist heutzutage die Verbreitung des Begriffs «polnische Konzentrationslager«. Hätten wir damals dagegen entschieden protestiert, würde es heute niemand wagen, deutsche Lager, deutsche Todesfabriken als «polnisch« zu bezeichnen.

Über Jahre haben wir es versäumt, über unsere außergewöhnliche Geschichte zu berichten. Über das Phänomen des Polnischen Untergrundstaates, über die heldenhaften Soldaten der Heimatarmee. Über die Tatsache, dass Polen mit den Aggressoren nie kollaboriert hat. Bisher haben wir keinen Film über den Rittmeister Witold Pilecki gedreht, der von den westlichen Historikern für einen der sechs tapfersten Menschen des Zweiten Weltkrieges gehalten wird.

Wann beginnen wir, das Versäumte nachzuholen?

Das passiert gerade. Hauptsächlich dank der jungen Generation, die sich stark für die polnische Geschichte einsetzt. Die jungen Leute tragen stolz T-Shirts in den Nationalfarben oder mit patriotischen Symbolen. Dank ihnen wird der Patriotismus wieder alltäglicher.

Die Änderung der Sichtweise sowie der Geschichtsauffassung sieht man auch auf anderen Ebenen. Als Beispiel können unsere diplomatischen Vertretungen angeführt werden. Jetzt unterstützen sie viel besser die Auslandspolen, die gegen die Formulierung «polnische Lager« protestieren. Früher war das nicht immer der Fall. Ein anderes Beispiel ist das Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges. Ursprünglich sollte es den Krieg universell darstellen. Heute hat man die Notwendigkeit erkannt, dass das Museum die Kriegsgeschichte aus polnischer Perspektive zeigen soll.

Besucher aus dem Ausland staunen über polnische Tapferkeit

Foto Instituts für Nationales Gedenken

Je mehr das Ausland über den Zweiten Weltkrieg weiß, desto weniger Verzerrungen der Geschichte. Und dadurch umso weniger den Polen gegenüber ungerechte Bezeichnungen wie «polnische Lager«.

Ein Gespräch mit Dr. Mateusz Szpytma, dem stellvetretenden Leiter des Instituts für Nationales Gedenken und Mitbegründer des Familie Ulma-Museums für polnische Judenretter in Markowa

Die Ulmas wurden wegen des Versuchs, Juden zu retten, ermordet. Dadurch wurden sie zum Symbol einer außergewöhnlichen Tapferkeit und Aufopferung. Und eine solche Haltung war im deutsch besetzten Polen keine Ausnahme, oder?

In der Tat gab es definitiv mehr Familien, die Juden im Zweiten Weltkrieg geholfen haben. Infolge dieser unternommenen Hilfeleistung haben die Deutschen ca. 1 Tsd. Polen getötet. Die Ulmas wurden zum Symbol, weil wir ausnahmsweise viel über ihr Leben und die Umstände ihres dramatischen Todes wissen. Außerdem waren sie wirklich großartige Menschen.

Lässt sich überhaupt feststellen, wie viele Polen sich an der Judenrettung im besetzten Polen beteiligt haben?

Leider gibt es keine klare Antwort auf diese Frage. Der Grund dafür ist, dass wir bisher keine diesbezüglichen Forschungen durchgeführt haben. Laut Schätzungen geht man jedoch davon aus, dass die Polen im Krieg 40 Tsd. bis sogar 100 Tsd. Juden gerettet haben könnten. Um ein jüdisches Leben zu retten, mussten ca. 10 Personen zusammenarbeiten. Man kann also vorsichtig annehmen, dass mindestens 400 Tsd. Polen in die Judenrettung involviert waren. Das ist wirklich eine imposante Zahl, vor allem wenn man bedenkt, dass selbst für die kleinste Unterstützung von Juden ihren Helfern die Todesstrafe drohte. Nicht nur ihnen direkt, sondern – im Rahmen der damals geltenden Sippenhaftung – auch ihren Nächsten.

Weiß die Welt davon?

Im Ausland ist diese Frage leider so gut wie unbekannt. Ausländische Besucher des Familie Ulma-Museums sind meistens überrascht, wenn sie mit eigenen Augen mit der Tatsache konfrontiert werden, wie viele Polen ihren Mut und Tapferkeit bewiesen haben. Zumal Polen weltweit leider immer noch als ein antisemitisches Land angesehen wird.

Wie kann man gegen dieses Stereotyp ankämpfen?

Zuerst müssen wir in puncto Judenrettung genau recherchieren und dann die Forschungsergebnisse veröffentlichen und so die Öffentlichkeit davon in Kenntnis setzen. Zum Beispiel mit Hilfe von thematischen Museumsausstellungen. Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass diesbezügliche Filmproduktionen entstehen sollten. Jede mit der Judenrettung verbundene Geschichte ist nämlich derart faszinierend, dass sie sich ideal für ein Filmdrehbuch eignet. Was noch enorm wichtig ist: wir müssen wir bei jedem Versuch der Geschichtsfälschung entschieden reagieren und auf Edukation setzen. Je mehr das Ausland über den Zweiten Weltkrieg weiß, desto weniger Verzerrungen der Geschichte. Und dadurch umso weniger den Polen gegenüber ungerechte Bezeichnungen wie «polnische Lager«.

Schaut, wie wir wirklich waren!

Ein sehr wichtiger Kurswechsel ist auch in unserer Diplomatie eingetreten. Sie setzt sich jetzt engagierter ein, wenn es um die polnische Staatsräson geht. Uns erreichen zahlreiche Signale, dass unsere Diplomaten stärker auf antipolnische Aussagen oder Gedankenkürzel wie «polnische Konzentrationslager« reagieren.

Ein Gespräch mit Prof. Jan Żaryn, Mitglied des Senats, der zweiten Parlamentskammer der Republik Polen

Was sollten wir machen, damit die Welt Polen im Zweiten Weltkrieg mit dem heldenhaften Kampf gegen die Besatzer und nicht mit Konzentrationslagern assoziiert?

Am effektivsten ist in dieser Frage sicher die positive Narration. Anstatt sich bei sich wiederholenden Lügen ständig beleidigt zu zeigen, sollten wir der Welt stolz sagen: „Schaut, wie wir wirklich waren!” Ein Beispiel für solch eine positive Message ist das Familie Ulma-Museum der polnischen Judenretter in Markowa. Weltweit gibt es immer noch das falsche Stereotyp, dass der Katholizismus als Weltanschauung half, den Holocaust zu akzeptieren. Das ist eine ungeheure Lüge, die das polnische Volk und die katholische Kirche auf übelste Art und Weise verunglimpft. Um derartige Verleumdungen erfolgreich zu bekämpfen, sollte man Initiativen wie die Gründung des Museums in Markowa fördern.

Eine lohnenswerte Bemühung wäre es auch, die oben erwähnte positive Narration über Polen der Welt im Rahmen der Popkultur zu präsentieren. Bereits in der Wahlkampagne hat die Partei Recht und Gerechtigkeit eine Filmproduktion zu diesem Thema angekündigt. Auf die einfache Formel gebracht: ein großartiger Film oder eine gut gemachte Fernsehserie würden helfen, das wahre Bild Polens und die Rolle unseres Landes im Zweiten Weltkrieg einem weltweiten Publikum zu zeigen. Eine derart markante Erfahrung wie unsere Begegnung mit zwei totalitären Systemen ist in einem Drehbuch durchaus erzählenswert.

Warum ist es uns bisher nicht gelungen, diese positive Überlieferung zu popularisieren?

Da seit den 1990er Jahren die polnische Geschichtspolitik eine sog. Politik der Beschämung war. Sie wurde von unseren politischen Institutionen und einem großen Teil der meinungsbildenden Kreise gefördert. Im Rahmen dieser Politik sollte unsere Geschichte nicht ans Licht kommen, weil sie das Schlechte schlechthin verkörperte. Sie war nämlich angeblich durch Antisemitismus, Chauvinismus und Xenophobie gekennzeichnet. Da sie uns angeblich daran hindern würde, wieder ins Abendland zurückzukehren und sich dort zu etablieren. Diese Überzeugung wirkte sich leider auf die Geschichtspolitik nach außen hin aus. Personen, die unsere Errungenschaften in der Geschichte betont haben, wurden aufs Abstellgleis geschoben. Genauso wie diejenigen, die auf unser Recht pochten, den Westen wegen seiner Politik Polen gegenüber im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit zu kritisieren. Stets fehlten finanzielle Mittel für Projekte, die unsere Geschichte ins rechte Licht rücken würden ‒ sei es im Rahmen der Massen- oder Hochkultur.

Was hat sich in dieser Hinsicht getan, seitdem Ihre Partei Recht und Gerechtigkeit am Ruder ist?

Im Gegensatz zu unseren Vorgängern haben wir vor allem den gesellschaftlichen Willen erkannt, sich mit einem Symbol des polnischen Volksheldentums identifizieren zu wollen. Ich meine hier in erster Linie das positive Symbol von den Verstoßenen Soldaten. Deshalb ist der 1. März, der Nationale Tag des Gedenkens an die Verstoßenen Soldaten, ein wichtiges Datum unseren Patriotismus zu zeigen. Die Staatsverwaltung unterstützt alle von unten kommenden Initiativen, die sich das zum Ziel gesetzt haben.

Ein sehr wichtiger Kurswechsel ist auch in unserer Diplomatie eingetreten. Sie setzt sich jetzt engagierter ein, wenn es um die polnische Staatsräson geht. Uns erreichen zahlreiche Signale, dass unsere Diplomaten stärker auf antipolnische Aussagen oder Gedankenkürzel wie «polnische Konzentrationslager« reagieren. Wir müssen in dieser Frage entschieden handeln, weil solche negativen Erscheinungen eine bewusst falsche Interpretation des Zweiten Weltkrieges fördern und verhindern, uns mit der Wahrheit über die polnische Geschichte durchzusetzen. Ganz zu schweigen davon, dass sie auch unsere politische Sicherheit bedrohen können.

Unsere Reaktionen müssen entschieden sein

Polen hat weltweit ziemlich viele Feinde. Eine uns gegenüber sehr negative Geschichtspolitik führen die Russen. Auch in Deutschland gibt es einige meinungsbildende Kreise, die versuchen, die Verantwortung des deutschen Volkes für die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen zu verringern. Wir haben mit einer großen Anzahl an Verfälschungen und Manipulationen zu tun.

Ein Gespräch mit Prof. Wojciech Roszkowski, dem Vorsitzenden des Rates des Museums der polnischen Geschichte

Wie sollten wir unsere Geschichte vermitteln, damit die Welt beginnt, sich für sie zu interessieren?

Ein breites westliches Publikum mit dem polnischen point of view zu erreichen, ist eine ungeheuer schwierige Aufgabe. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass der Westen die Geschichte als eine wenig interessante wissenschaftliche Disziplin betrachtet. Was allerdings nicht bedeuten soll, dass wir deshalb die Hände in den Schoß legen. Ganz im Gegenteil – die ganze Zeit muss nach neuen Handlungsfeldern gesucht werden. Beispielsweise: wenn die größten westlichen Medien und Verlage für polnische Autoren unerreichbar sind, dann können wir ausländische Lehrbuchautoren zu uns einladen und versuchen, sie für unsere Geschichte zu gewinnen. Wir sollten alles daran setzen, dass solche historischen Ereignisse wie der Warschauer Aufstand im Westen präsent sind, damit sie uns helfen, gegen Stereotype über Polen anzukämpfen. Vor allem gegen das Stereotyp über Polen als das Land, das für die deutschen Verbrechen mitverantwortlich ist.

Sind diese Stereotype stark verbreitet?

Ja, leider ist das der Fall. Sogar der US-Präsident Barack Obama benutzte in seiner Rede den Ausdruck «polnisches Lager«, als er Jan Karski, den Kurier der Polnischen Heimatarmee und einen der wichtigsten Zeugen des Holocaust posthum mit der Freiheitsmedaille geehrt hat. Schuld daran war bestimmt nicht Obamas böser Wille. Auch seiner Umgebung sollte man keine schlechten Absichten unterstellen. Der Versprecher resultierte aus Ignoranz und Stereotypen, die seit langem bewusst verbreitet werden.

Wer verbreitet sie?

Polen hat weltweit ziemlich viele Feinde. Eine uns gegenüber sehr negative Geschichtspolitik führen die Russen. Auch in Deutschland gibt es einige meinungsbildende Kreise, die versuchen, die Verantwortung des deutschen Volkes für die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen zu verringern. Wir haben mit einer großen Anzahl an Verfälschungen und Manipulationen zu tun. Daher redet der Westen heutzutage nicht mehr vom «ersten deutschen Konzentrationslager Dachau«, sondern von «Dachau, the first Nazi concentration camp«. Dagegen wird Auschwitz als «polnisches Lager« bezeichnet, obwohl die Polen dort nur eines der vielen Opfer waren.

Wenn die Formulierung «polnische Lager« in ausländischen Medien erscheint, dann müssen wir…

Bestimmt müssen unsere Reaktionen entschiedener sein als das unsere Diplomatie bis dato getan hat. Meiner Ansicht nach sollte man ausländische Medien einfach davor warnen, dass die Bezeichnung «polnische Konzentrationslager« als Hassrede interpretiert werden kann und dass sie deutsche Verbrechen in Frage stellt. Solche Warnungen sprechen die Leute besser an als sanfte Formulierungen über die polnische Würde. Es lohnt sich auch, präventiv zu handeln. Eine der NGOs verschickt z.B. solche Mahnungen an Medien. Das macht sie vor jedem runden Jahrestag, der sich auf den Zweiten Weltkrieg bezieht. Empfehlenswert ist jedes Handeln, das das Wissen von ausländischen Journalisten erweitert sowie sie für das Problem «polnische Lager« sensibilisiert. Alle unsere Aktivitäten müssen auf jeden Fall konsequent sein – nur dann können wir diesbezüglich etwas ändern. Ich fürchte aber, dass der Erfolg in dieser Hinsicht noch lange auf sich warten lassen wird.

Der beste Weg ist, Fakten zu klären und Berichtigungen zu fordern

Foto MHP/Mariusz Szachowski

Sehr wenige Personen, sogar hierzulande, wissen über deutsche, vor allem für polnische Bevölkerung gedachte Konzentrationslager, wie etwa Mauthausen-Gusen, wo einige tausend Polen, darunter zum großen Teil die polnische Intelligenz, ermordet wurden.

Ein Gespräch mit Robert Kostro, dem Leiter des Museums der polnischen Geschichte (polnisch Muzeum Historii Polski, kurz MHP)

Als US-Präsident Barack Obama den polnischen Untergrundkämpfer Jan Karski posthum mit der Freiheitsmedaille würdigte, sprach er bei der Ehrung von «polnischen Todeslagern«. Sie haben dann sofort reagiert und vom Weißen Haus eine offizielle Entschuldigung gefordert. Was hat Sie dazu bewogen?

Es war ein bisschen anders. Unser Museum der polnischen Geschichte hatte eine große Kampagne gestartet, die Person von Jan Karski im In- und Ausland bekannt zu machen. Dieses Ziel war u.a. durch thematische Ausstellungen, edukative Programme und Erstellung der ihm gewidmeten Websites erreicht worden. Dank seinem Lebenslauf konnten wir Interessierten aus dem Ausland Realien des deutsch besetzten Polen, Errungenschaften des Polnischen Untergrundstaates sowie die Frage der von der polnischen Bevölkerung unternommenen  Judenrettung  zeigen. Eine von den Aktionen, an denen wir uns mit verschiedenen amerikanischen Partnern beteiligt hatten, bestand darin, Karski – als Kurier der polnischen Widerstandsbewegung und als Augenzeugen des Holocaust – mit der Freiheitsmedaille zu ehren.   Die Kampagne war erfolgreich und der damalige polnische Außenminister, Prof. Adam Rotfeld, nahm die Medaille entgegen. Bei ihrer Aushändigung fielen die Worte Obamas von «polnischen Todeslagern«. Infolge dieser missglückten Formulierung hat der US-Präsident sich später beim damaligen polnischen Präsidenten Bronisław Komorowski per Brief entschuldigt. Aber die Entschuldigung war nur die briefliche Antwort Obamas auf die vorherige schriftliche Dementi-Bitte Komorowskis. Abgesehen davon, haben die Feierlichkeiten im United States Holocaust Memorial Museum sowie der durch den Versprecher Obamas ausgelöste mediale Sturm dazu beigetragen, Karski und den Polnischen Untergrundstaat der Weltöffentlichkeit näherzubringen. Und durch diese spezifische Aufklärung wurde den  Amerikanern die Unkorrektheit dieser Formulierung klar.

Wo liegen, Ihrer Meinung nach, Gründe für die Benutzung der Formulierung «polnische Konzentrationslager/polnische Todeslager«, was in den westlichen Medien immer häufiger der Fall ist?

Ehrlich gesagt, gab es solche Formulierungen bereits gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, auch in polnischen Publikationen. Aber damals war für alle klar, wer  die Täter waren. Außerdem wurde damals der Holocaust zusammen – und nicht getrennt wie heute – mit anderen Kriegsverbrechen diskutiert. Polen wurde damals als eins der Hauptopfer des Krieges angesehen. In den 1960 und 1970er Jahren begann sich diese Frage zu ändern. Israel und amerikanische Juden haben zunehmend viel daran gesetzt, verschiedene Einrichtungen zu gründen und Handlungen zu betätigen, die die Erinnerungen an die Shoah zum Ziel hatten und die das Wissen darüber weltweit  propagieren sollten. Das politisch gesehen hinter dem Eisernen Vorhang befindliche, kommunistische Polen hat dagegen allmählich immer weniger unternommen, für seinen point of view der Geschichte zu werben. Dazu kam noch der historische Diskurs in Deutschland, infolgedessen die Verantwortung für die Verbrechen sich langsam von Deutschland als Staat in Richtung „die Nazis”  verschoben hat. Es entstand eine Asymmetrie: einerseits das fortschreitende Unwissen über die polnische Geschichte samt Marginalisierung der polnischen Kriegserfahrungen, andererseits die internationale Bedeutungszunahme des Holocaust und der jüdischen Überlieferung. Aus diesem Grund assoziieren heute viele junge Amerikaner, Franzosen oder Israelis den Ausdruck «polnische Konzentrationslager« mit den mutmaßlichen polnischen Verbrechen, was wiederum ein falsches Bild von Polen als Mittätern des Holocaust zur Folge hat.

Was soll nach Ihrem Dafürhalten unternommen werden, um der in den westlichen Medien gebrauchten Bezeichnung «polnische Konzentrationslager« entgegenzuwirken?

Ich glaube, der beste Weg besteht darin, Fakten zu klären und Berichtigungen zu fordern. Mit solchen schriftlichen Erklärungen und Dementis sollten sich unsere staatlichen Institutionen, die Botschaften und die NGOs beschäftigen. Die zweite wichtige Frage ist die Aufklärungsarbeit. Wir müssen über Kriegserfahrungen, deutsche Besatzung und ferner über den Zweiten Weltkrieg aus polnischer Sicht konsequent informieren. Zum Beispiel unsere „Gerechten unter den Völkern” und unsere großen Helden wie Jan Karski oder Witold Pilecki der Weltöffentlichkeit ins Gedächtnis zurückrufen. Dasselbe soll für das Martyrium der Polen im Zweiten Weltkrieg gelten. Sehr wenige Personen, sogar hierzulande, wissen über deutsche, vor allem für polnische Bevölkerung gedachte Konzentrationslager, wie etwa Mauthausen-Gusen, wo einige tausend Polen, darunter zum großen Teil die polnische Intelligenz, ermordet wurden.

Das Museum der polnischen Geschichte setzt sich sehr aktiv dafür ein, ein Bild von Polen international zu kreieren. Berücksichtigt diese Aktivität einerseits die Erinnerungen an deutsche Verbrechen und auf der anderen Seite Popularisierung der heldenhaften Haltung der Polen im Zweiten Weltkrieg?

Unser Museum hat sich mehrmals an Projekten beteiligt, die Sie an letzter Stelle Ihrer Frage erwähnt haben. Wir haben unter anderem den 100. Geburtstag von Jan Karski feierlich gewürdigt. Zur Zeit engagieren wir uns für Ausstellungs-, Internet- sowie Filmprojekte zur Erinnerung an die polnischen Opfer der Verbrechen im Lager Gusen. Das MHP war darüber hinaus einer der ersten Teilnehmer  an der internationalen Internet-Plattform Google Cultural Institute. In diesem Rahmen haben wir Ausstellungen über Jan Karski und Witold Pilecki organisiert und dadurch Millionen von Menschen in einigen Dutzend Ländern erreicht. Ein wichtiges Programm, bei dem wir seit Jahren zusammen mit dem Institut für Spielraum für Bürger und Sozialpolitik  (polnisch Instytut Przestrzeni Obywatelskiej i Polityki Społecznej) mitwirken, ist die Konferenzreihe „Recovering Forgotten Past”. Wir laden amerikanische und angelsäschische Autoren von Hochschullehrbüchern und Publikationen, die über polnische Geschichte und die Geschichte von  Mittel- und Osteuropa schreiben, zu uns ein. Im Rahmen der Konferenzen  diskutieren unsere Gäste mit polnischen Fachkollegen ihre Texte aus. Bisher ist uns dadurch gelungen, aus über hundert amerikanischen akademischen Geschichtsbüchern Sachfehler, Stereotypen und Verfälschungen zu eliminieren.

Wie sehen Sie die Rolle der Museen und Gedenkstätten, um das westliche Ausland von der Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg in Kenntnis zu setzen?

Die Rolle der Museen ist riesengroß, weil sie mehrdimensional agieren. Sie bereiten Ausstellungen vor, führen Forschungen durch, widmen sich der Edukation und Popularisierung sowie kooperieren mit ausländischen Kunst- und  Wissenschaftsorganisationen.  Das Museum des Warschauer Aufstandes, Museum der Geschichte der polnischen Juden, Auschwitz-Museum und andere Märtyrer-Museen haben  eine doppelte Funktion. Einerseits fungieren sie als wichtige touristische Ziele für In- und Ausländer. Andererseits spielen sie eine aktive Partnerrolle bei internationalen Projekten aller Art. Sie sind ebenfalls Ansprechpartner für ausländische Medien und Filmemacher, die sie konsultieren wollen und/oder um historische Dokumente sowie Requisiten ersuchen. Eine besondere Rolle bei der Berichtigung der Geschichtsfälchung spielen in Kürze das Museum des Zweiten Weltkriegs wie das Museum der polnischen Geschichte. Diese zwei Einrichtungen beabsichtigen Handlungen zu starten, die das Bild Polens im Zweiten Weltkrieg ins rechte Licht rücken.