Wir müssen die Wahrheit über deutsche Konzentrationslager fordern

Die Kultivierung des Wissens über polnische Helden ist neben Zeitzeugenberichten eine sehr wirksame Methode, um die historische Wahrheit zu festigen. Wir sollten  so oft wie nur möglich an großartige Gestalten aus unserer Geschichte erinnern.

Ein Gespräch mit Jan Dziedziczak, dem stellvertretenden Außenminister der Republik Polen

Vor einigen Monaten haben Sie Karol Tendera mit der Ehrenmedaille Bene Merito geehrt. Sie wird  an Personen vergeben, die sich in besonderem Maße für das Land Polen im Ausland stark machen. Herr Tendera ist einer der Helden des Projekts „Deutsche Lager, polnische Helden”. Sehr engagiert kämpft er gegen die Lüge über «polnische Konzentrationslager«. Glauben Sie, dass ein Appell der ehemaligen KZ-Insassen gegen die Geschichtsverfälschung die westliche Öffentlichkeit wirksam beeinflussen kann?

Herr Karol Tendera ist einer der wenigen noch lebenden Personen, die die Wahrheit über die deutschen Konzentrationslager bezeugen können. Der Wert des Appells der ehemaligen Häftlinge der KZs lässt sich nicht unterschätzen. Sie als besondere Zeitzeugen vermitteln die Wahrheit über das deutsch besetzte Polen im Zweiten Weltkrieg und haben Einfluss auf das Bild Polens im Ausland. Es ist unsere Pflicht, von ihren einmaligen Erinnerungen Gebrauch zu machen. Die Erinnerungen sind oft sehr emotional, deshalb sprechen sie die Leute stärker als beste wissenschaftliche Abhandlungen an. Wir sind in einer komfortablen Lage, denn wir brauchen unsere Geschichte nicht zu verschönern. Wir müssen nur die Wahrheit fordern. Aus diesem Grund schlägt das polnische Außenministerium vor, in der Presse und im Internet die Formulierung „fehlerhafte Codes des Gedächtnisses” zu verwenden.  Wir verfolgen dadurch das Ziel, den Ausdruck „deutsche Konzentrationslager” in der Öffentlichkeit einzuprägen sowie falsche Bezeichnungen wie «polnische Konzentrationslager« zu eliminieren.

Wie beurteilen Sie die sich wiederholenden Fälle der Benutzung der Formulierung «polnische Konzentrationslager«? Zeugen sie davon, dass die Welt nicht weiß oder vielleicht langsam vergisst, wer die Täter und wer die Opfer der Verbrechen in den Lagern waren?

Ich hoffe, dass die Benutzung dieser Formulierung vor allem aus Ignoranz resultiert. Und dass kein böser Wille dahinter steckt. Das Außenministerium bezweckt in dieser Hinsicht zweierlei zu tun. Erstens – gegen sie konsequent zu reagieren und zweitens – für das Problem zu sensibilisieren. Ich glaube, dass sie dadurch immer seltener gebraucht wird und mit der Zeit – nicht mehr. Die häufigste Entschuldigung für diese Wortfügung ist, «polnisch« beziehe sich auf die geographische Lage der Lager. Für uns ist das ein völlig inakzeptables Argument. Deutsche Konzentrationslager gab es nämlich in vielen europäischen Ländern.  Die Rede von «polnischen Konzentrationslagern« ist also bewusste Verfälschung der Geschichte, die unbedingt vermieden werden soll. Es ist eine große Herausforderung für den polnischen Staat, unsere historischen Einrichtungen sowie unsere Bürger und das Ausland über die gegenwärtige polnische Geschichte effektiv und redlich informieren.

Wie sollte man ausländischen Journalisten erklären, dass die Formulierung «polnische Konzentrationslager« die Geschichte verfälscht? Können dazu, Ihrer Ansicht nach, z.B. informativ-edukative Projekte wie das Projekt des Łukasiewicz-Instituts beitragen? Wir bemühen uns sehr, die historische Wahrheit ans Licht zu bringen.

Zuerst ist es notwendig, in Bezug auf deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager den richtigen Sprachgebrauch einzuprägen. Diese Notwendigkeit betrifft u.a. polnische Journalisten. Das Fehlen unserer gemeinsamen und objektiven Geschichtsbetrachtung bringt nämlich fatale Folgen mit sich. Die Öffentlichkeit, darunter viele ausländische Journalisten, haben entweder Wissensdefizite oder missverstehen viele, für die polnische Geschichte wichtige Fragen. Den Hitler-Stalin-Pakt, den deutschen und sowjetischen Überfall auf Polen im Jahre 1939, die Komplexität der Besatzung der polnischen Gebiete, darunter die polnisch-jüdischen Beziehungen und den Einfluss der Lager nicht nur auf das Leben der Häftlinge, sondern der ganzen Gesellschaft – um nur einige von diesen Fragen zu nennen.

Unsere Rolle besteht darin, mit der historischen Wahrheit ein breites Publikum zu erreichen und sie – vor allem im Ausland – zu verbreiten. Das Außenministerium ist um diesbezügliche edukative Handlungen sehr bemüht. Wir arbeiten in dieser Hinsicht u.a. mit dem Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej IPN) und der Stiftung „Imageschutz – Polnische Liga gegen Verleumdung” (“Reduta Dobrego Imienia – Polska Liga Przeciw Zniesławieniom) zusammen. Ein Beispiel für solche Aktivitäten sind die von uns organisierten Studienbesuche für ausländische Meinungsführer, wie etwa für Historiker – Experten für polnische Geschichte, Geschichte unserer Region oder Spezialisten für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Auch Journalisten aus dem Ausland sind unsere Gäste. Uns obliegt eine große Verantwortung, das Wissen an nächste Generationen weiterzugeben sowie der Tragödie des Zweiten Weltkrieges kontinuierlich zu gedenken.

Glauben Sie, dass es unsere Pflicht ist, über das Heldentum der Polen gerade in diesen Zeiten zu reden? Können die Familie Ulma, der Hl. Maximilian Kolbe oder der Rittmeister Pilecki helfen, die polnische Geschichte erfolgreich ins rechte Licht zu rücken?

Die Kultivierung des Wissens über polnische Helden ist neben Zeitzeugenberichten eine sehr wirksame Methode, um die historische Wahrheit zu festigen. Wir sollten  so oft wie nur möglich an großartige Gestalten aus unserer Geschichte erinnern. Es gab sehr viele davon, darunter auch aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die heldenhafte Haltung von einfachen Leuten beeinflusst das positive Bild aller Polen. Wir sollten darum danach streben, über die von Ihnen erwähnten Helden Polen als das Land zu zeigen, für dessen Volk gewisse Werte und die Ehre am wichtigsten sind. Uns als eine Nation zu präsentieren, die bereit ist, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um sie zu verteidigen sowie auch ihr Leben zu riskieren, um ein anderes zu retten. Wir haben viele hervorragende Figuren, deren Vita  universelle Werte vermittelt. Sie können für die heutige Jugend als Vorbild dienen und eignen sich sehr gut, an ihnen die polnische historische Wahrheit zu rekonstruieren.

Sollten polnische Meinungsführer nicht nur dem Ausland, sondern auch unseren Bürgern die Botschaft  vermitteln, dass der polnische Staat entschieden gegen die Formulierung «polnische Konzentrationslager« reagieren wird? Sehen Sie die Notwendigkeit dazu und mögliche Vorteile dieses Schrittes?

Es ist natürlich dringend nötig, die verbale Vervielfältigung dieser Formulierung und anderer falscher Begriffe versuchen zu stoppen. Es ist schädlich, die „fehlerhaften Codes des Gedächtnisses” im Polnischen zu fixieren, indem man sie mehrfach gerade in den Interviews oder Publikationen verwendet, die bezwecken, ihnen entgegenzuwirken. Den Hauptvorteil sehe ich in der Popularisierung der historischen Wahrheit und in der Glaubwürdigkeit Polens in der Weltöffentlichkeit. Solange wir uns aber selber falscher Ausdrücke bedienen werden, solange wird es schwierig sein, gegen sie in den ausländischen Medien anzukämpfen.

Gibt es nach Ihrem Dafürhalten in der polnischen Öffentlichkeit einen  Konsens über die Notwendigkeit, die Geschichtsverfälschungen zu bekämpfen? Einige Kreise sind der Meinung, dass wir diesbezüglich überreagieren und die Gründe dafür in unseren Minderwertigkeitskomplexen liegen würden.

Das positive Bild Polens sowie der Kampf um die historische Wahrheit sollten unser gemeinsames Ziel sein. Die Reaktionen auf Lügen dürfen nicht als Ausdruck von Minderwertigkeitskomplexen gedeutet werden. Das Streben nach der Wahrheit ist die Pflicht jedes Menschen. Und die Wahrheit ist, dass es im deutsch besetzten Polen deutsche Konzentrationslager gegeben hat. Wir dürfen dabei nicht die Tatsache außer Acht lassen, dass die Geschichte die gegenwärtige Meinung über Polen beeinflusst. Um so mehr müssen wir uns bemühen, Schritte zu unternehmen, die die aktuelle und künftige Lage unseres Staates stärken werden.

Wie sehen Sie die Rolle der Auslandspolen (der sog. Polonia) bei der Problematik, über die wir uns unterhalten? Können auch sie den Lügen über Polen und das polnische Volk entgegenwirken?

Die Rolle der Polonia ist vielleicht sogar wichtiger als unsere Rolle hierzulande. Es waren doch die Polonia-Verbände, die als erste Organisationen auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Sie machten uns bewusst, dass hinter diesen falschen Bezeichnungen eine ernste Bedrohung steckt. Die kanadische Polonia protestierte bereits in den 1980er Jahren vor dem Sitz der „Toronto-Star” gegen die unkorrekten Begriffe, die diese Zeitung benutzt hatte. Die Auslandspolen haben einen direkten Zugang zu den Medien und der Öffentlichkeit der Länder, in denen sie wohnen. Daher können sie auch auf historische Lügen schnell reagieren und sie den zuständigen polnischen Behörden melden. Es ist klar, dass die Polonia eine große Verantwortung für das Kreieren des Polenbildes trägt. Deshalb ist es enorm wichtig, dass alle ihre Organisationen unisono über die polnischen Helden und die polnisch-jüdischen Beziehungen sprechen sowie sich lautstark für die richtige Wortwahl im Falle der «polnischen«  Konzentrationslager einsetzen.