Julian Wieciech: Man muss der Welt die Wahrheit zeigen

wieciech

Foto Andrzej Banaś

Der polnische Staat
muss gegen
die Lüge über
„polnische
Konzentrationslager”
ankämpfen.
Er muss der Welt
zeigen, wie viele
Menschen von deutscher
Hand umgebracht wurden

Wie viele Male er von den SS-Männern brutal misshandelt wurde, kann er nicht einmal zusammenzählen. Innerhalb einiger Monate ging er durch die Hölle von drei Konzentrationslagern. – Die Deutschen sagten, es gäbe für uns nur einen Weg in die Freiheit, und zwar als Rauch durch den Krematoriumsschlot – erzählt Julian Wieciech, Soldat der polnischen Heimatarmee und ehemaliger Häftling der KZs Groß-Rosen und Bergen-Belsen.

Am Sonntagmorgen, dem 29. Oktober 1944, wurde der damals 17jährige Julian von Zuhause in Lipnica Dolna abgeholt und in ein Gefängnis nach Bochnia abtransportiert. Das Verhör war äußerst grausam, man schlug und trat ihn. Er gab trotzdem seine wahre Identität nicht preis. Er gab vor, sein Name sei Kwiecień und er würde als Knecht bei den Wieciechs arbeiten. In Wirklichkeit kämpfte Julian Wieciech als Fähnrich unter dem Decknamen „Wichtel” in der Heimatarmee. Er nahm sogar an einer spektakulären Aktion zur Befreiung von 128 polnischen politischen Häftlingen teil, die im Zuchthaus in Nowy Wiśnicz eingesperrt waren. Dadurch wurden sie vor der Deportation nach Auschwitz gerettet, die am nächsten Tag stattfinden sollte. Bei dem Verhör schlugen die Täuschungsmanöver von Herrn Wieciech jedoch fehl, die deutschen Vernehmer glaubten ihm seine Geschichte nicht. Als Folge davon durchschritt Julian Wieciech Anfang Dezember das Lagertor des KZ Groß-Rosen und sah als Erstes die berüchtigte Toraufschrift „Arbeit macht frei”.

Im Lager war die Misshandlung der Häftlinge an der Tagesordnung. Ohne den geringsten Grund konnte man getötet werden. – Eines Tages hat einer absichtlich die Katze des Blockältesten getreten und mir wurde dafür die Schuld in die Schuhe geschoben. Der Blockälteste wurde rasend. Wutentbrannt schlug er mich mit den Fäusten und trat mich. Als ich zu Boden fiel, trampelte er auf mir herum. Überzeugt, dass ich tot bin, ließ er meinen Körper in eine kleine Abstellkammer bringen – erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse. Seine Mithäftlinge bemerkten jedoch, dass er noch atmete und halfen ihm. So kam er mit dem Leben davon.

Selbst in den kritischsten Momenten des Lageralltags blieb Julian Wieciech den Prinzipien eines Soldaten der Heimatarmee treu. Nie ging er auf die Kollaborationsangebote mit den Deutschen ein. Als ihn die SS-Männer einen betenden Priester schlagen ließen, lehnte er das entschieden ab, wofür er schwere Hiebe einstecken musste. – Der Priester rief mir zu: „Schlag mich, Gott wird dir das verzeihen. Schlag mich, sonst bringen sie dich um!” Ich hab´ das trotzdem nicht gemacht – erzählt „Wichtel”.

Am 8. Februar 1945 wurde das KZ Groß-Rosen evakuiert. Infolgedessen verbrachte Julian Wieciech zuerst einige Wochen im KZ Mittelbau-Dora und dann, Anfang April, eine Zeitlang im KZ Bergen-Belsen. Er war einer der wenigen, der die mehrtägige, mühselige Reise in überfüllten Zügen und ohne ausreichende Wasser- und Nahrungsvorräte überlebte. Bergen-Belsen sollte nun die letzte Station seines Lebens sein. Julian Wieciech: – Als wir das Lagertor betraten, hörten wir den Satz: „Aus diesem Lager gibt es nur einen Ausweg – durch den Schornstein des Krematoriums”.

Jeder Tag in Bergen-Belsen war ein Kampf ums Überleben. Als am 15. April 1945 ein Militärwagen durch das Lagertor fuhr und ein britischer Offizier den Häftlingen in sieben Sprachen verkündete, sie seien frei, war der Gesundheitszustand vom gerade befreiten Gefangenen Wieciech kritisch. Er wog lediglich 36 Kilo, die Ärzte gaben ihm 10 Minuten zu leben.

Der polnische Staat muss gegen die Lüge über „polnische Konzentrationslager” ankämpfen. Er muss der Welt zeigen, wie viele Menschen von deutscher Hand umgebracht wurden – appelliert der KZ-Überlebende Julian Wieciech.