Fryderyk Jakimiszyn: Ich habe mehr Tote als Lebendige gesehen

jakimiszyn

Foto Andrzej Banaś

Schläge und Hunger
waren an der
Tagesordnung,
sie bewirkten
unter den Leuten
Furcht,
Demütigung,
Hilflosigkeit
und mit der Zeit
ein Gefühl der
Lebensmüdigkeit

Das waren deutsche Lager. Von Deutschen errichtet und verwaltet. Die Deutschen haben dort Menschen gemordet und ihre Leichen verbrannt. Die Polen hatten überhaupt nichts zu sagen. Es gab dort keine Polen – nur anonyme Lagernummern – betont mit Nachdruck der 1927 in Krakau geborene Fryderyk Jakimiszyn, Soldat der polnischen Heimatarmee und ehemaliger Häftling u.a. des KZs Groß-Rosen.

Den 16. Januar 1945 wird Herr Jakimiszyn bis zu seinem Lebensende nie vergessen. Als ein knapp 17jähriger Junge durchschritt er an diesem Tag das Tor des in Schlesien gelegenen KZs Groß-Rosen. Dessen ganzes Gebiet war mit elektrisch geladenem Stacheldraht eingezäunt. In der Luft schwebte der süßliche Geruch der im Krematorium ohne Pause vebrannten Leichen.

Schläge und Hunger waren an der Tagesordnung, sie bewirkten unter den Leuten Furcht, Demütigung, Hilflosigkeit und mit der Zeit ein Gefühl der Lebensmüdigkeit – erinnert sich Fryderyk Jakimiszyn. Dazu kam die mörderische Arbeit bei der Gewinnung von Granitblöcken im Steinbruch. – Sie dauerte von morgens bis abends, dabei sind unzählige Häftlinge ums Leben gekommen – erzählt der Krakauer.

Am 8. Februar 1945 fing die Evakuierung des KZs Groß-Rosen an. Infolgedessen kam Fryderyk Jakimiszyn in das nördlich der Kreisstadt Nordhausen gelegene Außenlager des KZs Buchenwald Mittelbau-Dora, wo sich ein riesengroßes deutsches Rüstungswerk befand. Anfang April 1945, als die Alliierten aus diesem Grund das Lager bombardierten, unternahm er einen Fluchtversuch. Herr Jakimiszyn: – Obwohl die Wachposten auf Fliehende mit Maschinengewehren schossen, gelang es mir und ein paar anderen den Zaun zu überwinden. Die Freude über die gelungene Flucht dauerte aber nicht lange. Fryderyk wurde von einer deutschen Patrouille gefasst und ins KZ Sachsenhausen-Oranienburg abtransportiert. Dort hat man ihn zur Arbeit im Henkel-Werk, dem Nebenlager vom KZ Sachsenhausen-Oranienburg, eingeteilt. – Man konnte spüren, dass die Deutschen die nahende Niederlage ahnten. Trotzdem herrschte bis zum Schluss die deutsche Ordnung und Strenge. Das willkürliche Töten von Wehrlosen gehörte zum Alltag – erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse.

Als der Befehl zur Evakuierung des Lagers erging, was unter dem Wachpersonal Chaos und Panik verursachte, trennte er sich von seiner Häftlingsgruppe und versteckte sich in einem Grubenhaus, das als Luftschutzbunker diente. Nach zwei Stunden wurde er jedoch geschnappt und zum Appellplatz des Lagers geführt. Herr Jakimiszyn sollte öffentlich erschossen werden – als Strafe für den Ungehorsam und, um andere Häftlinge von Fluchtversuchen abzuschrecken. – Als ich dem Tod in die Augen sah, kniete ich vor einem deutschen Soldaten nieder. Ich weinte und flehte um Vergebung. Ich küsste seine Stiefel und schrie: „Ich bin ein Kind, bin nur 17 Jahre alt, ich will zu meiner Mama”. Immer wieder bekam ich Schläge mit Gewehrkolben, aber ich spürte nichts. Das war eine wahre Verzweiflungstat. Sie war jedoch erfolgreich, ich entkam wie durch ein Wunder dem Tod – erzählt er.

Im Rahmen der Evakuierung des KZs zog Fryderyk Jakimiszyn mit anderen Leidensgenossen dann im Todesmarsch Richtung Berlin, auf dem Hunger, Krankheiten und Erschöpfung einen hohen Tribut an Menschenleben forderten. Die nicht mehr marschfähigen Häftlinge wurden mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet. – Die umliegenden Straßengräben quollen buchstäblich vor Leichen über. In Lagern und bei Evakuierungsmärschen habe ich mehr Tote als Lebendige gesehen – so die bittere Schlussfolgerung des Zeitzeugen Jakimiszyn.

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