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Der beste Weg ist, Fakten zu klären und Berichtigungen zu fordern

Foto MHP/Mariusz Szachowski

Sehr wenige Personen, sogar hierzulande, wissen über deutsche, vor allem für polnische Bevölkerung gedachte Konzentrationslager, wie etwa Mauthausen-Gusen, wo einige tausend Polen, darunter zum großen Teil die polnische Intelligenz, ermordet wurden.

Ein Gespräch mit Robert Kostro, dem Leiter des Museums der polnischen Geschichte (polnisch Muzeum Historii Polski, kurz MHP)

Als US-Präsident Barack Obama den polnischen Untergrundkämpfer Jan Karski posthum mit der Freiheitsmedaille würdigte, sprach er bei der Ehrung von «polnischen Todeslagern«. Sie haben dann sofort reagiert und vom Weißen Haus eine offizielle Entschuldigung gefordert. Was hat Sie dazu bewogen?

Es war ein bisschen anders. Unser Museum der polnischen Geschichte hatte eine große Kampagne gestartet, die Person von Jan Karski im In- und Ausland bekannt zu machen. Dieses Ziel war u.a. durch thematische Ausstellungen, edukative Programme und Erstellung der ihm gewidmeten Websites erreicht worden. Dank seinem Lebenslauf konnten wir Interessierten aus dem Ausland Realien des deutsch besetzten Polen, Errungenschaften des Polnischen Untergrundstaates sowie die Frage der von der polnischen Bevölkerung unternommenen  Judenrettung  zeigen. Eine von den Aktionen, an denen wir uns mit verschiedenen amerikanischen Partnern beteiligt hatten, bestand darin, Karski – als Kurier der polnischen Widerstandsbewegung und als Augenzeugen des Holocaust – mit der Freiheitsmedaille zu ehren.   Die Kampagne war erfolgreich und der damalige polnische Außenminister, Prof. Adam Rotfeld, nahm die Medaille entgegen. Bei ihrer Aushändigung fielen die Worte Obamas von «polnischen Todeslagern«. Infolge dieser missglückten Formulierung hat der US-Präsident sich später beim damaligen polnischen Präsidenten Bronisław Komorowski per Brief entschuldigt. Aber die Entschuldigung war nur die briefliche Antwort Obamas auf die vorherige schriftliche Dementi-Bitte Komorowskis. Abgesehen davon, haben die Feierlichkeiten im United States Holocaust Memorial Museum sowie der durch den Versprecher Obamas ausgelöste mediale Sturm dazu beigetragen, Karski und den Polnischen Untergrundstaat der Weltöffentlichkeit näherzubringen. Und durch diese spezifische Aufklärung wurde den  Amerikanern die Unkorrektheit dieser Formulierung klar.

Wo liegen, Ihrer Meinung nach, Gründe für die Benutzung der Formulierung «polnische Konzentrationslager/polnische Todeslager«, was in den westlichen Medien immer häufiger der Fall ist?

Ehrlich gesagt, gab es solche Formulierungen bereits gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, auch in polnischen Publikationen. Aber damals war für alle klar, wer  die Täter waren. Außerdem wurde damals der Holocaust zusammen – und nicht getrennt wie heute – mit anderen Kriegsverbrechen diskutiert. Polen wurde damals als eins der Hauptopfer des Krieges angesehen. In den 1960 und 1970er Jahren begann sich diese Frage zu ändern. Israel und amerikanische Juden haben zunehmend viel daran gesetzt, verschiedene Einrichtungen zu gründen und Handlungen zu betätigen, die die Erinnerungen an die Shoah zum Ziel hatten und die das Wissen darüber weltweit  propagieren sollten. Das politisch gesehen hinter dem Eisernen Vorhang befindliche, kommunistische Polen hat dagegen allmählich immer weniger unternommen, für seinen point of view der Geschichte zu werben. Dazu kam noch der historische Diskurs in Deutschland, infolgedessen die Verantwortung für die Verbrechen sich langsam von Deutschland als Staat in Richtung „die Nazis”  verschoben hat. Es entstand eine Asymmetrie: einerseits das fortschreitende Unwissen über die polnische Geschichte samt Marginalisierung der polnischen Kriegserfahrungen, andererseits die internationale Bedeutungszunahme des Holocaust und der jüdischen Überlieferung. Aus diesem Grund assoziieren heute viele junge Amerikaner, Franzosen oder Israelis den Ausdruck «polnische Konzentrationslager« mit den mutmaßlichen polnischen Verbrechen, was wiederum ein falsches Bild von Polen als Mittätern des Holocaust zur Folge hat.

Was soll nach Ihrem Dafürhalten unternommen werden, um der in den westlichen Medien gebrauchten Bezeichnung «polnische Konzentrationslager« entgegenzuwirken?

Ich glaube, der beste Weg besteht darin, Fakten zu klären und Berichtigungen zu fordern. Mit solchen schriftlichen Erklärungen und Dementis sollten sich unsere staatlichen Institutionen, die Botschaften und die NGOs beschäftigen. Die zweite wichtige Frage ist die Aufklärungsarbeit. Wir müssen über Kriegserfahrungen, deutsche Besatzung und ferner über den Zweiten Weltkrieg aus polnischer Sicht konsequent informieren. Zum Beispiel unsere „Gerechten unter den Völkern” und unsere großen Helden wie Jan Karski oder Witold Pilecki der Weltöffentlichkeit ins Gedächtnis zurückrufen. Dasselbe soll für das Martyrium der Polen im Zweiten Weltkrieg gelten. Sehr wenige Personen, sogar hierzulande, wissen über deutsche, vor allem für polnische Bevölkerung gedachte Konzentrationslager, wie etwa Mauthausen-Gusen, wo einige tausend Polen, darunter zum großen Teil die polnische Intelligenz, ermordet wurden.

Das Museum der polnischen Geschichte setzt sich sehr aktiv dafür ein, ein Bild von Polen international zu kreieren. Berücksichtigt diese Aktivität einerseits die Erinnerungen an deutsche Verbrechen und auf der anderen Seite Popularisierung der heldenhaften Haltung der Polen im Zweiten Weltkrieg?

Unser Museum hat sich mehrmals an Projekten beteiligt, die Sie an letzter Stelle Ihrer Frage erwähnt haben. Wir haben unter anderem den 100. Geburtstag von Jan Karski feierlich gewürdigt. Zur Zeit engagieren wir uns für Ausstellungs-, Internet- sowie Filmprojekte zur Erinnerung an die polnischen Opfer der Verbrechen im Lager Gusen. Das MHP war darüber hinaus einer der ersten Teilnehmer  an der internationalen Internet-Plattform Google Cultural Institute. In diesem Rahmen haben wir Ausstellungen über Jan Karski und Witold Pilecki organisiert und dadurch Millionen von Menschen in einigen Dutzend Ländern erreicht. Ein wichtiges Programm, bei dem wir seit Jahren zusammen mit dem Institut für Spielraum für Bürger und Sozialpolitik  (polnisch Instytut Przestrzeni Obywatelskiej i Polityki Społecznej) mitwirken, ist die Konferenzreihe „Recovering Forgotten Past”. Wir laden amerikanische und angelsäschische Autoren von Hochschullehrbüchern und Publikationen, die über polnische Geschichte und die Geschichte von  Mittel- und Osteuropa schreiben, zu uns ein. Im Rahmen der Konferenzen  diskutieren unsere Gäste mit polnischen Fachkollegen ihre Texte aus. Bisher ist uns dadurch gelungen, aus über hundert amerikanischen akademischen Geschichtsbüchern Sachfehler, Stereotypen und Verfälschungen zu eliminieren.

Wie sehen Sie die Rolle der Museen und Gedenkstätten, um das westliche Ausland von der Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg in Kenntnis zu setzen?

Die Rolle der Museen ist riesengroß, weil sie mehrdimensional agieren. Sie bereiten Ausstellungen vor, führen Forschungen durch, widmen sich der Edukation und Popularisierung sowie kooperieren mit ausländischen Kunst- und  Wissenschaftsorganisationen.  Das Museum des Warschauer Aufstandes, Museum der Geschichte der polnischen Juden, Auschwitz-Museum und andere Märtyrer-Museen haben  eine doppelte Funktion. Einerseits fungieren sie als wichtige touristische Ziele für In- und Ausländer. Andererseits spielen sie eine aktive Partnerrolle bei internationalen Projekten aller Art. Sie sind ebenfalls Ansprechpartner für ausländische Medien und Filmemacher, die sie konsultieren wollen und/oder um historische Dokumente sowie Requisiten ersuchen. Eine besondere Rolle bei der Berichtigung der Geschichtsfälchung spielen in Kürze das Museum des Zweiten Weltkriegs wie das Museum der polnischen Geschichte. Diese zwei Einrichtungen beabsichtigen Handlungen zu starten, die das Bild Polens im Zweiten Weltkrieg ins rechte Licht rücken.

Nur zu reagieren reicht nicht, man muss die Denkweise ändern lassen

Foto Michał Radwański/Ośrodek KARTA

Wäre die Geschichte Polens allgemein bekannt, würde es niemand wagen,  deutsche Lager als «polnische« zu bezeichnen.

Ein Gespräch mit Zbigniew Gluza, dem Vorsitzenden des KARTA Zentrums, das sich mit Dokumentation und Popularisierung der jüngsten Geschichte Polens befasst

Warum kennt die Welt die Geschichte Polens im Zweiten Weltkrieg so wenig?

Weil das Wissen über diese Zeit über zwei Narrationen, die westliche und die postsowjetische, verbreitet wird. Der Westen machte allmählich den Holocaust zum Hauptelement seiner Beschreibung dieser Zeit und berücksichtige dabei kaum die riesengroßen Repressalien, die im Krieg die ganze polnische  Nation getroffen hatten. Polen wurde in dieser Überlieferung ausgeblendet, wahrscheinlich wegen der Schuldgefühle unserer ehemaligen West-Alliierten, die uns im Laufe des Krieges im Stich gelassen hatten. Viel mehr empörend ist jedoch die Tatsache, dass man die sowjetische Narration würdigt, in der der Kremel als Verbündeter des Westens im Kampf gegen den Nationalsozialismus dargestellt wird und nicht wie der Aggressor, der gleichermaßen am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verantwortlich war. Die Sowjets begangen im Krieg ähnliche Verbrechen, wie sie vorher bei sich 1937-38, als der Höhepunkt des großen Terrors erreicht wurde, verübt hatten.

Und was ist mit der polnischen Überlieferung?

Wir waren leider nicht im Stande, uns mit unseren Erfahrungen mit diesen zwei totalitären Systemen in der Weltöffentlichkeit durchzusetzen. Mit den Erfahrungen, die politische Unabhängigkeit Polens – aber zum Glück nicht unsere nationale Identität – für ein halbes Jahrhundert weggenommen haben.

Warum?

In den 1990er Jahren waren alle unsere Politiker davon überzeugt, dass die Geschichte keine Rolle spielt. Dass sie unser Land, seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eher schwächen und politische Beziehungen mit unseren Nachbarn erschweren würde. Unser KARTA Zentrum hat als eine NGO-Organisation, die sich mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigt, das ganze Jahrzehnt dagegen anzukämpfen versucht. Leider erfolglos. Der polnische Staat hat in dieser Hinsicht längerfristig nichts unternommen.

Trotz späterer institutioneller Veränderungen fehlt immer noch die vollständige Historiographie aus polnischer Perspektive, die wir der Welt präsentieren könnten. So wurden z.B. die Folgen des Überfalls auf Polen bis heute nicht genügend vorgestellt.

Hören wir aus diesem Grund so oft die Formulierung «polnische Lager«?

Das ist eine der Konsequenzen der grundsätzlichen Versäumnisse. Wäre die Geschichte Polens allgemein bekannt, würde es niemand wagen,  deutsche Lager als «polnische« zu bezeichnen. Es ist höchst irritierend, dass einem Land, dass im Zweiten Weltkrieg mit ungeheueren Massenverbrechen konfrontiert wurde, nahegelegt wird, es habe damals eine institutionelle Gewalt ausgeübt. Von den 35 Mio. Bürgern der Zweiten Polnischen Republik wurden 1939-45 gegen mindestens 12 Mio. direkt Repressionen angewandt.

Warum können wir uns der Verbreitung dieser Lüge nicht erfolgreich widersetzen?

Weil es nicht reicht, nur zu reagieren und zu protestieren, dass der Begriff «polnische Lager« absurd und verworfen ist. Das sind reaktive, auf lange Sicht nicht erfolgreiche Schritte. Selbst wenn jemand sich dafür vorläufig entschuldigt, wird er den Fehler wieder begehen. Diese «Versprecher« ergeben sich nicht nur aus Ignoranz. Einige wollen auf Polen die Verantwortung für die Kriegsverbrechen abwälzen. Wir haben aber diesbezüglich eine präventive Maßnahme ergriffen: im Verlag des Instituts für Nationales Gedenken erschien vor kurzem das Album Gesichter des Totalitarismus (polnisch Oblicza totalitaryzmu). Fürs Erste auf Polnisch, aber seine fremdsprachlichen Ausgaben können bewirken, dass die Denkweise des Auslands, was die Problematik betrifft,  sich ändert.

Stefan Lipniak: Die Nachwelt darf diese Zeit keinesfalls »so« in Erinnerung behalten

lipniak

Foto Andrzej Banaś

So was zu
behaupten,
ist einfach
schrecklich.
Es wäre
verwerflich
und unverzeihlich,
wenn die Nachwelt
diese Zeit auf
eine so lügnerische
Weise in Erinnerung
behalten würde

Es gab so viele deutsche Verbrechen, so viel Leid mussten wir ertragen, so viele Tränen wurden vergossen… Warum spricht man also jetzt von „polnischen Konzentrationslagern”? – fragt der 92jährige Stefan Lipniak, der im Krieg durch die Hölle von vier deutschen KZs ging.

Die Hölle begann mit dem Zwangsarbeitslager Klein Mangersdorf, wo der Zeitzeuge Lipniak ein Jahr verbrachte. Die sorglose Jugend endete für ihn in der Nacht vom 26. auf den 27. Juni 1941, als er – knapp 17 Jahre alt – von der Gestapo festgenommen und anschließend dorthin deportiert wurde. Er war einer von vielen, die durch die Einlieferung ins KZ den Plänen der Organisation Schmelt zum Opfer fielen. Die Organisation wurde gegründet und geleitet vom ranghohen SS-Offizier Albrecht Schmelt. Die Pläne der Organisation sahen den Zwangsarbeitereinsatz in Oberschlesien vor, der für die Entstehung von groß geplanten Bauten für das Dritte Reich tausende kräftige Männer benötigte. – Aber die Deutschen wollten auch das polnische Volk vernichten, indem sie unzählige junge Polen sich zu Tode schuften ließen – sagt Herr Lipniak, der damals beim Bau der Reichsautobahn in der Nähe von Gleiwitz arbeiten musste.

Die Häftlinge in Klein Mangersdorf schufteten tagtäglich 14-16 Stunden. Für die Arbeit, die über ihre Kräfte ging, bekamen sie nur eine kleine Mahlzeit. Selbst der Schlaf brachte ihnen keine Rast und Erholung – in den Lagerbaracken wimmelte es von Läusen und Wanzen.

Zu den nächsten Stationen im Lagerleben von Stefan Lipniak gehörten das Arbeitserziehungslager Rattwitz und das Arbeitslager Markstädt, bis er 1944 schließlich nach Auschwitz III verbracht wurde. Diese Bezeichnung geht auf das Konzentrationslager Monowitz zurück, das sechs Kilometer östlich vom Stammlager Auschwitz I entfernt war und auf dessen Gelände sich die Buna-Werke der I.G. Farben AG befanden. Der Chemiekonzern profitierte enorm von der billigen Arbeitskraft, d.h. von der Zwangsarbeit von Häftlingen. In Monowitz kam auf den jungen KZ-Insassen genau das zu, was er schon von vorher kannte: Enge, Hunger, Gewalt und Tod. – In meinem Arbeitskommando starben vor Erschöpfung täglich drei bis vier Leute. Die Toten wurden sofort durch neue Gefangene ersetzt – erzählt Herr Lipniak. Nach Schätzungen des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau kamen bei der Zwangsarbeit für die I.G. Farben ca. 10 Tausend Häftlinge um.

Trotz der mörderischen Arbeit und unmenschlichen Lagerbedingungen kam Stefan Lipniak mit dem Leben davon. Als die Ostfront näher rückte, wurden die Lager Auschwitz, Birkenau und Monowitz in Richtung Westen evakuiert. Die «Evakuierung« wurde für die Betroffenen zum Todesmarsch. Während dieses Todesmarsches unternahm Stefan Lipniak einen dramatischen, aber erfolgreichen Fluchtversuch. – Der Frost war unglaublich hart und man hat uns gen Westen zu Fuß getrieben. Sehr viele Leute sind vor Kälte, Erschöpfung und Hunger umgekommen (…). Die nicht mehr Marschfähigen wurden von den SS-Männern skrupellos erschossen – berichtet er.

Nach dem Kriegsende baute sich Herr Lipniak ein Leben auf, in dem seine große Leidenschaft, der Fußball, eine wichtige Rolle spielte. Über 20 Jahre war er Schiedsrichter in der Regionalliga in Kleinpolen. An die traumatischen Erlebnisse aus der Vergangenheit erinnert er sich jedoch bis ins kleinste Detail. Daher bricht seine Stimme, wenn er jetzt die Formulierung „polnische Konzentrationslager” hört: – So was zu behaupten, ist einfach schrecklich. Es wäre verwerflich und unverzeihlich, wenn die Nachwelt diese Zeit auf eine so lügnerische Weise in Erinnerung behalten würde.

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Lidia Maksymowicz: Der größte Friedhof der Welt

maksymowicz

Foto Andrzej Banaś

Deshalb halte ich die Formulierung „polnische Lager” für eine Schande. Sie kränkt und verletzt alle Polen

Bis heute sieht man an ihrem Körper Spuren von Impfungen und Injektionen, die die Experimente von dem Lagerarzt Josef Mengele hinterlassen haben. Trotzdem hat Lidia Maksymowicz als kleines Kind das KZ Auschwitz überlebt. – Ich kam als eine der wenigen mit dem Leben davon. Offenbar hat Gott es so gewollt, damit ich jetzt über den Ort erzählen kann, an dem die Deutschen den größten Friedhof der Welt geschaffen haben – sagt sie.

Minsk, eine kalte Novembernacht des Jahres 1943. Deutsche Soldaten führen hunderte von Menschen zu Güterwaggons, die sich bald in Richtung des von den Deutschen besetzten Polen in Bewegung setzen werden. Der Zugtransport fährt direkt ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Unter den im Lager Angekommenen befindet sich ein dreijähriges Mädchen namens Ludmiła Boczarowa, wie damals unsere Zeitzeugin hieß. – Ich kam ins Lager, weil Doktor Mengele mich als Versuchskaninchen für seine pseudomedizinischen Versuche brauchte – erklärt Lidia Maksymowicz.

Obwohl sie ein Kleinkind war, erinnert sich Frau Maksymowicz sehr gut daran, was im Lager geschah: – Die Deutschen haben die Häftlinge bis aufs Letzte ausgebeutet. Uns Kindern wurde Blut für ihre an der Front kämpfenden Soldaten abgenommen. Das war schrecklich! Sie selbst überlebte nur, weil sie nach Auschwitz als gesundes und kräftiges Kind kam. – Aber unterernährte und ausgemergelte Kinder aus den Ghettos hatten dieses Glück nicht. Sie starben massenhaft, von deutschen Peinigern zu Tode gequält – erzählt Frau Maksymowicz.

Im Januar 1945 wurde die kleine Lidia (damals Ludmiła) von ihrer Mutter getrennt, die im sog. Todesmarsch gen Westen evakuiert wurde. Das Mädchen blieb in Auschwitz bis zum 27. Januar, als die Rote Armee das Lager befreite. Danach nahm sich das in Oświęcim (Auschwitz) wohnhafte Ehepaar Rydzikowski des sich seinem Schicksal überlassenen Kindes an. Nach einigen Monaten der Hölle von Auschwitz fand Lidia nun ein richtiges Zuhause.

Ihre leibliche Mutter hat Frau Maksymowicz nach 17 Jahren ausfindig gemacht. Trotzdem entschied sie sich, nicht nach Weißrussland zurückzukehren. Wie sie erklärt, habe sie zu viel der polnischen Familie zu verdanken, die sie aufgenommen und erzogen hatte.

Als Auschwitz-Überlebende fühlt sich Lidia Maksymowicz verpflichtet, über all die Gräueltaten, die dort passiert sind, zu berichten. – Es waren doch die Deutschen, die am 1. September 1939 Polen überfielen, hier ihre Konzentrations- und Vernichtungslager errichteten, die zum Hinrichtungsort für viele Völker wurden. Deshalb halte ich die Formulierung „polnische Lager” für eine Schande. Sie kränkt und verletzt alle Polen – empört sich Frau Maksymowicz.

Aus diesem Grund trifft sie sich oft mit der heutigen Jugend, um sie über die damaligen Zeiten aufzuklären. Manchmal sind unter ihren Zuhörern junge Deutsche. – Sie sind schockiert und können es oft nicht glauben, dass ihre Großväter zu solchen Grausamkeiten fähig waren. Ich selbst frage mich oft, wie dies möglich war. Warum fanden sich in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, das so viele berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht hatte, auch Leute, die sich anderen gegenüber als Bestien in Menschengestalt erwiesen? – Die Antwort auf diese Frage weiß Lidia Maksymowicz nicht.

 

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Karol Tendera: Geschichtsfälscher müssen bestraft werden

tendera

Foto Andrzej Banaś

Karol Tendera: «Ihr seid hier nicht in ein Sanatorium gekommen, sondern in ein deutsches Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausgang gibt als den durch den Schornstein « – hörten als Begrüßung die im Lager angekommenen Häftlinge.

Ich fühle mich verunglimpft. Ich werde beschuldigt, an Morden teilgenommen zu haben, aber das Opfer war doch ich! – mit solchen Worten reagiert Karol Tendera, wenn er in ausländischen Medien den sich wiederholenden Ausdruck „polnische Konzentrationslager” hört. Der inzwischen 95jährige ehemalige Auschwitz-Häftling kämpft deshalb mit unglaublicher Energie und Entschlossenheit gegen diese historische Lüge. Er verklagte sogar den deutschen Fernsehsender ZDF.

Dies geschah, nachdem im ZDF von den „polnischen Vernichtungslagern Majdanek und Auschwitz” die Rede gewesen war. Herrn Tendera wurde sofort klar, dass er reagieren muss. Er erhob gegen den Sender eine Zivilklage, in der er eine öffentliche Entschuldigung sowie Schmerzensgeld in Höhe von 50 Tsd. Euro für gemeinnützige Zwecke forderte. – Ich will, dass die Geschichtsfälscher sich bei dem polnischen Staat und dem polnischen Volk entschuldigen und für ihre Verleumdungen bestraft werden – betont Karol Tendera.

Am 1. September 1939, zu Beginn der deutschen Besatzung Polens war der 1921 in Krakau geborene Karol 18 Jahre alt. Er besuchte in seiner Heimatstadt die Technische Berufsschule in der Krupnicza-Straße. Im Herbst 1940, direkt vom Unterricht abgeholt, wurde der junge Karol zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschickt. Über zwei Jahre musste er in einem Arbeitslager bei Hannover zerstörte Kriegsflugzeuge reparieren. Im Mai 1942 gelang ihm ein Fluchtversuch und infolgedessen die Rückkehr nach Krakau. Die Freude über die gewonnene Freiheit währte jedoch nur einige Monate. Bereits im Januar 1943 wurde Karol Tendera festgenommen. Zuerst wurde er in den Krakauer Sitz der Gestapo in der Pomorska-Straße und dann ins Gefängnis in der Montelupich-Straße gebracht. Im Februar 1943 hieß es für ihn: Abtransport nach Auschwitz.

»Hunderttausendvierhundertdreißig« – sagt der Krakauer in einem Atemzug auf Deutsch die auf seinem Unterarm eintätowierte Lagernummer. – Das war in Auschwitz mein Name. Er wusste sofort, dass er in die Hölle kam. – Karol Tendera: »Ihr seid hier nicht in ein Sanatorium gekommen, sondern in ein deutsches Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausgang gibt als den durch den Schornstein« – hörten als Begrüßung die im Lager angekommenen Häftlinge.

Bis heute erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse an jeden Tag in Auschwitz-Birkenau: an die mörderische Arbeit bei der Aushebung der Straßengräben, an die schmerzhaften Hiebe des deutschen Lagerpersonals sowie an den herrschenden Hunger und Durst. – Ich war überzeugt, dass ich dem Tod nicht entkomme – gesteht er. Obwohl er Auschwitz doch überlebt hat, bedeutete dies für ihn keine Befreiung. Im Herbst 1944 wurde Karol Tendera nach Leitmeritz, (tschechisch: Litoměřice) in ein Nebenlager des deutschen KZs Flossenbürg deportiert, wo er bis zum Kriegsende gefangen gehalten wurde.

In Auschwitz war ich Mitglied der dort von Witold Pilecki gegründeten Widerstandsbewegung. Ich kämpfte für mein Vaterland, setzte dafür mein Leben aufs Spiel – sagt Karol Tendera. Daher fällt es ihm sehr schwer, sich mit Formulierungen wie „polnische Konzentrationslager” abzufinden, die die Verantwortung für deutsche Verbrechen ihren polnischen Opfern in die Schuhe schieben. – Ich muss ständig alles berichtigen, ins rechte Licht rücken und erklären, wie es wirklich war. Eines Tages hat mich eine alte Deutsche gefragt, was für Leute wir Polen in unseren Lagern inhaftiert und ermordet hätten – nennt Karol Tendera als Beispiel für seine Aufklärungsarbeit.

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Fryderyk Jakimiszyn: Ich habe mehr Tote als Lebendige gesehen

jakimiszyn

Foto Andrzej Banaś

Schläge und Hunger
waren an der
Tagesordnung,
sie bewirkten
unter den Leuten
Furcht,
Demütigung,
Hilflosigkeit
und mit der Zeit
ein Gefühl der
Lebensmüdigkeit

Das waren deutsche Lager. Von Deutschen errichtet und verwaltet. Die Deutschen haben dort Menschen gemordet und ihre Leichen verbrannt. Die Polen hatten überhaupt nichts zu sagen. Es gab dort keine Polen – nur anonyme Lagernummern – betont mit Nachdruck der 1927 in Krakau geborene Fryderyk Jakimiszyn, Soldat der polnischen Heimatarmee und ehemaliger Häftling u.a. des KZs Groß-Rosen.

Den 16. Januar 1945 wird Herr Jakimiszyn bis zu seinem Lebensende nie vergessen. Als ein knapp 17jähriger Junge durchschritt er an diesem Tag das Tor des in Schlesien gelegenen KZs Groß-Rosen. Dessen ganzes Gebiet war mit elektrisch geladenem Stacheldraht eingezäunt. In der Luft schwebte der süßliche Geruch der im Krematorium ohne Pause vebrannten Leichen.

Schläge und Hunger waren an der Tagesordnung, sie bewirkten unter den Leuten Furcht, Demütigung, Hilflosigkeit und mit der Zeit ein Gefühl der Lebensmüdigkeit – erinnert sich Fryderyk Jakimiszyn. Dazu kam die mörderische Arbeit bei der Gewinnung von Granitblöcken im Steinbruch. – Sie dauerte von morgens bis abends, dabei sind unzählige Häftlinge ums Leben gekommen – erzählt der Krakauer.

Am 8. Februar 1945 fing die Evakuierung des KZs Groß-Rosen an. Infolgedessen kam Fryderyk Jakimiszyn in das nördlich der Kreisstadt Nordhausen gelegene Außenlager des KZs Buchenwald Mittelbau-Dora, wo sich ein riesengroßes deutsches Rüstungswerk befand. Anfang April 1945, als die Alliierten aus diesem Grund das Lager bombardierten, unternahm er einen Fluchtversuch. Herr Jakimiszyn: – Obwohl die Wachposten auf Fliehende mit Maschinengewehren schossen, gelang es mir und ein paar anderen den Zaun zu überwinden. Die Freude über die gelungene Flucht dauerte aber nicht lange. Fryderyk wurde von einer deutschen Patrouille gefasst und ins KZ Sachsenhausen-Oranienburg abtransportiert. Dort hat man ihn zur Arbeit im Henkel-Werk, dem Nebenlager vom KZ Sachsenhausen-Oranienburg, eingeteilt. – Man konnte spüren, dass die Deutschen die nahende Niederlage ahnten. Trotzdem herrschte bis zum Schluss die deutsche Ordnung und Strenge. Das willkürliche Töten von Wehrlosen gehörte zum Alltag – erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse.

Als der Befehl zur Evakuierung des Lagers erging, was unter dem Wachpersonal Chaos und Panik verursachte, trennte er sich von seiner Häftlingsgruppe und versteckte sich in einem Grubenhaus, das als Luftschutzbunker diente. Nach zwei Stunden wurde er jedoch geschnappt und zum Appellplatz des Lagers geführt. Herr Jakimiszyn sollte öffentlich erschossen werden – als Strafe für den Ungehorsam und, um andere Häftlinge von Fluchtversuchen abzuschrecken. – Als ich dem Tod in die Augen sah, kniete ich vor einem deutschen Soldaten nieder. Ich weinte und flehte um Vergebung. Ich küsste seine Stiefel und schrie: „Ich bin ein Kind, bin nur 17 Jahre alt, ich will zu meiner Mama”. Immer wieder bekam ich Schläge mit Gewehrkolben, aber ich spürte nichts. Das war eine wahre Verzweiflungstat. Sie war jedoch erfolgreich, ich entkam wie durch ein Wunder dem Tod – erzählt er.

Im Rahmen der Evakuierung des KZs zog Fryderyk Jakimiszyn mit anderen Leidensgenossen dann im Todesmarsch Richtung Berlin, auf dem Hunger, Krankheiten und Erschöpfung einen hohen Tribut an Menschenleben forderten. Die nicht mehr marschfähigen Häftlinge wurden mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet. – Die umliegenden Straßengräben quollen buchstäblich vor Leichen über. In Lagern und bei Evakuierungsmärschen habe ich mehr Tote als Lebendige gesehen – so die bittere Schlussfolgerung des Zeitzeugen Jakimiszyn.

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Halina Krzymowska: Sie behandelten uns wie den letzten Dreck

krzymowska

Foto Andrzej Banaś

Die Vernichtungslager
wurden zwar
auf polnischen
Gebieten errichtet.
Aber diese
Gebiete
wurden im Krieg
von den Deutschen
erobert und besetzt
und es waren
die Deutschen,
die in diesen
Lagern Millionen
von Menschen
ermordeten.

Jedesmal, wenn in der ausländischen Presse Informationen über „polnische Konzentrationslager” auftauchen, empört sich Halina Krzymowska sehr. – Diese Formulierung zeugt von einer beispiellosen Ignoranz und von einer Unkenntnis der Geschichte jener Zeit. Die ehemalige Insassin des KZ Ravensbrück appelliert deshalb – Man muss ihnen die Wahrheit sagen!

Lakonisch, aber gleichzeitig drastisch, schildert Frau Krzymowska den grausamen Alltag der KZ-Häftlinge. – Die Deutschen behandelten uns wie den letzten Dreck. Wir waren ihren Hieben und Tritten hilflos ausgeliefert. Unser Tod wurde einfach in Kauf genommen und hätte keine Sau interessiert – erzählt sie.

Diese Behandlung erlebte Frau Krzymowska gleich nach der Deportation ins KZ. – Ich erhielt meine Lagernummer, den Winkel und wurde plötzlich ohnmächtig. Als meine Mutter dies sah, flehte sie einen ranghohen SS-Mann um Hilfe an. Andere Deutsche fielen sofort über sie her und sie bekam eine Spritze, die sie töten sollte. Meine Mama hat sie nur wie durch ein Wunder überlebt – schildert die ehemalige «Ravensbrückerin«.

Halina Krzymowska wurde 1927 in Warschau in der Familie von Jan Kamienobrodzki, einem hohen Beamten der Polnischen Bank AG, geboren. Als kleines Mädchen besuchte sie dieselbe Schule wie die Töchter von Marschall Józef Piłsudski. Im September 1939 sollte die 12jährige Halina ihre Ausbildung im Gymnasium fortsetzen. Dies verhinderte jedoch der Ausbruch des Krieges.

Er hatte zur Folge, dass die Reserven der Polnischen Bank dringend ins Ausland mussten. Die kleine Halina samt Mutter und Bruder verließ Polen im Konvoi der Bank. Die Familie fuhr über die Ukraine, Rumänien und Jugoslawien, bis sie letztendlich die Insel Krk (das heutige Kroatien) erreichte. Dort, fern von Kriegsereignissen, führten die Kamienobrodzkis einige Jahre ein ruhiges Leben, das 1944 schlagartig sein Ende nahm. Auf Krk landeten die deutschen Truppen und alle auf der Insel lebenden Polen wurden festgenommen. Die Familie wurde getrennt. Halina und ihre Mutter wurden ins KZ Ravensbrück verschickt. Der kleine Bruder musste dagegen in ein Krakauer Waisenhaus. Frau Krzymowska: – Es war eine Sammelstelle für polnische Kinder, die im Rahmen der NS-Rassenpolitik germanisiert werden sollten. Man zwang sie, spezielle Schulungen zu absolvieren, um sie einzudeutschen.

Im KZ-Ravensbrück arbeitete Halina Krzymowska in einer Nähwerkstatt, sie musste auch beim Bau der Gebäude für SS-Offiziere arbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnte sie mit ihrer Mutter eine Zeitlang in Schweden. Dann kehrten die beiden Frauen nach Krakau zurück. Die dramatischen Kriegserlebnisse aus der Jugendzeit zerstörten nie Halinas Lebenslust und Lebensfreude. Jahrelang war sie sehr aktiv – ging dem Bergtourismus und dem Skifahren nach. Zusammen mit ihrem Mann machten sie einmal eine Motorradtour durch ganz Polen.

Als Zeitzeugin teilt Frau Krzymowska gern ihre Erinnerungen. Sie ist fest davon überzeugt, dass man ununterbrochen an die Wahrheit erinnern muss. – Die Vernichtungslager wurden zwar auf polnischen Gebieten errichtet. Aber diese Gebiete wurden im Krieg von den Deutschen erobert und besetzt und es waren die Deutschen, die in diesen Lagern Millionen von Menschen ermordeten. Das muss man allen unermüdlich ins Gedächtnis rufen – konstatiert Halina Krzymowska.

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Julian Wieciech: Man muss der Welt die Wahrheit zeigen

wieciech

Foto Andrzej Banaś

Der polnische Staat
muss gegen
die Lüge über
„polnische
Konzentrationslager”
ankämpfen.
Er muss der Welt
zeigen, wie viele
Menschen von deutscher
Hand umgebracht wurden

Wie viele Male er von den SS-Männern brutal misshandelt wurde, kann er nicht einmal zusammenzählen. Innerhalb einiger Monate ging er durch die Hölle von drei Konzentrationslagern. – Die Deutschen sagten, es gäbe für uns nur einen Weg in die Freiheit, und zwar als Rauch durch den Krematoriumsschlot – erzählt Julian Wieciech, Soldat der polnischen Heimatarmee und ehemaliger Häftling der KZs Groß-Rosen und Bergen-Belsen.

Am Sonntagmorgen, dem 29. Oktober 1944, wurde der damals 17jährige Julian von Zuhause in Lipnica Dolna abgeholt und in ein Gefängnis nach Bochnia abtransportiert. Das Verhör war äußerst grausam, man schlug und trat ihn. Er gab trotzdem seine wahre Identität nicht preis. Er gab vor, sein Name sei Kwiecień und er würde als Knecht bei den Wieciechs arbeiten. In Wirklichkeit kämpfte Julian Wieciech als Fähnrich unter dem Decknamen „Wichtel” in der Heimatarmee. Er nahm sogar an einer spektakulären Aktion zur Befreiung von 128 polnischen politischen Häftlingen teil, die im Zuchthaus in Nowy Wiśnicz eingesperrt waren. Dadurch wurden sie vor der Deportation nach Auschwitz gerettet, die am nächsten Tag stattfinden sollte. Bei dem Verhör schlugen die Täuschungsmanöver von Herrn Wieciech jedoch fehl, die deutschen Vernehmer glaubten ihm seine Geschichte nicht. Als Folge davon durchschritt Julian Wieciech Anfang Dezember das Lagertor des KZ Groß-Rosen und sah als Erstes die berüchtigte Toraufschrift „Arbeit macht frei”.

Im Lager war die Misshandlung der Häftlinge an der Tagesordnung. Ohne den geringsten Grund konnte man getötet werden. – Eines Tages hat einer absichtlich die Katze des Blockältesten getreten und mir wurde dafür die Schuld in die Schuhe geschoben. Der Blockälteste wurde rasend. Wutentbrannt schlug er mich mit den Fäusten und trat mich. Als ich zu Boden fiel, trampelte er auf mir herum. Überzeugt, dass ich tot bin, ließ er meinen Körper in eine kleine Abstellkammer bringen – erinnert sich der ehemalige KZ-Insasse. Seine Mithäftlinge bemerkten jedoch, dass er noch atmete und halfen ihm. So kam er mit dem Leben davon.

Selbst in den kritischsten Momenten des Lageralltags blieb Julian Wieciech den Prinzipien eines Soldaten der Heimatarmee treu. Nie ging er auf die Kollaborationsangebote mit den Deutschen ein. Als ihn die SS-Männer einen betenden Priester schlagen ließen, lehnte er das entschieden ab, wofür er schwere Hiebe einstecken musste. – Der Priester rief mir zu: „Schlag mich, Gott wird dir das verzeihen. Schlag mich, sonst bringen sie dich um!” Ich hab´ das trotzdem nicht gemacht – erzählt „Wichtel”.

Am 8. Februar 1945 wurde das KZ Groß-Rosen evakuiert. Infolgedessen verbrachte Julian Wieciech zuerst einige Wochen im KZ Mittelbau-Dora und dann, Anfang April, eine Zeitlang im KZ Bergen-Belsen. Er war einer der wenigen, der die mehrtägige, mühselige Reise in überfüllten Zügen und ohne ausreichende Wasser- und Nahrungsvorräte überlebte. Bergen-Belsen sollte nun die letzte Station seines Lebens sein. Julian Wieciech: – Als wir das Lagertor betraten, hörten wir den Satz: „Aus diesem Lager gibt es nur einen Ausweg – durch den Schornstein des Krematoriums”.

Jeder Tag in Bergen-Belsen war ein Kampf ums Überleben. Als am 15. April 1945 ein Militärwagen durch das Lagertor fuhr und ein britischer Offizier den Häftlingen in sieben Sprachen verkündete, sie seien frei, war der Gesundheitszustand vom gerade befreiten Gefangenen Wieciech kritisch. Er wog lediglich 36 Kilo, die Ärzte gaben ihm 10 Minuten zu leben.

Der polnische Staat muss gegen die Lüge über „polnische Konzentrationslager” ankämpfen. Er muss der Welt zeigen, wie viele Menschen von deutscher Hand umgebracht wurden – appelliert der KZ-Überlebende Julian Wieciech.